Vielleicht glaubt Gott an mich

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Jüdische Mystik und Poesie: Zum 60. Todestag der Dichterin Else Lasker-Schüler:

In den frühen vierziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts, an einem Versöhnungstag, dem strengen jüdischen Fasttag, saß eine seltsame Alte in der deutschen Synagoge in Jerusalem und aß während des Gottesdienstes eine Tafel Schokolade. Vom Synagogendiener zurechtgewiesen antwortete sie: "Stören Sie meine Andacht nicht!" Die Frau war die Dichterin Else Lasker-Schüler. Überliefert hat diese Begebenheit einer ihrer engsten Vertrauten im Exil in Jerusalem, der Schriftsteller Werner Kraft. Er meinte, Else Lasker-Schüler wäre zwar von Natur aus gottgläubig gewesen, hätte aber von hebräischer Religiosität sehr wenig gewusst. Heute steht fest, dass der verdienstvolle Herausgeber ihrer nachgelassenen Schriften in diesem Punkt die Dichterin erheblich unterschätzt hat. Jüngere Untersuchungen - zuletzt die umfangreiche Arbeit von Andrea Henneke-Weischer über Else Lasker-Schülers "Poetisches Judentum" (Mainz 2003) - gehen den religiös-poetischen Fäden nach, die so in allen Texten eingewoben sind und ihre innige Verbundenheit mit dem Judentum durchschimmern lassen. Etwa im "Hebräerland", der verklärenden Bilanz ihrer ersten zwei Palästinareisen: "Ich bin nicht Hebräerin der Hebräer willen, aber - Gottes Willen! Doch dieses Bekenntnis schließt die Liebe und Treue unerschütterlicher Ergebenheit zu Seinem Volke ein. Zu meinem kleinsten Volk unter den Völkern, dem ich mit Herz und Seele angehöre." Die genaue Einhaltung jüdischer Kult- und Alltagsvorschriften aber war ihr, der 1869 geborenen Tochter aus einem assimiliert-bürgerlichen Bankiers-Haus in Elberfeld, einem Stadtteil des heutigen Wuppertal, weder geläufig noch wichtig. Von Martin Buber beeinflusst hielt sie Mystik für die schöpferische Kraft des Judentums schlechthin.

Platzmachen für Gott

Angezogen von den symbolisch-mystischen Elementen der Kabbala hat sich Else Lasker-Schüler immer wieder, aber nie systematisch, mit dieser jüdischen Lehre von Schöpfung und Erlösung beschäftigt. So bezeichnet sie die Voraussetzung dichterischen Schaffens öfter als ein "Platzmachen für Gott" und kehrt damit die Vorstellung der Kabbala um, in der Gott sich der Schöpfung zuliebe zurückzieht. Ein Schlüsseltext für ihre Neigung zur Mystik des Lichtes ist die von ihr so genannte Psalmodie "Die Seele und ihr Licht". Darin beschreibt sie Gottes- und Menschenliebe als das Licht der Seele - und: "undurchleuchtet sind wir Menschen tot." In einer - für assimilierte Juden keinesfalls ungewöhnlichen - kleinen Hymne auf den Weihnachtsbaum finden sich die Sätze: "Jeder Mensch möchte wenigstens ein einziges Mal ,ganz' im Lichte stehen... Nur die Liebe vermag den Wandel vom Dunkelsein zur Lichtwerdung zu vollbringen. Die Liebe will immer Weihnachten feiern, will anzünden und angezündet werden ..."

Einem heiligen Urahn, dem Rabbi Hirsch Cohen, den sie zum "Oberrabbuni vom Rheinland und Westfalen" erhob, dichtete sie die Eigenschaft an, "er habe sein Herz aus der Brust nehmen können, was er nach kühnen staatlichen Konferenzen zu tun pflegte, um den Zeiger des roten Zifferblatts wieder nach Gottosten zu stellen." Erst in den letzten Lebenstagen, da sie wie eine Verlorene durch die Straßen Jerusalems irrte, sollen ihr Zweifel gekommen sein, ob die zitternde Nadel ihres Herzens noch in Himmels-Richtung steht. In Jerusalem schreibt sie 1942 an Martin Buber: "Ich bin keine Zionistin, keine Jüdin, keine Christin; ich glaube aber ein tief trauriger Mensch. Ich war ein einfacher Soldat Gottes; ich kann mich aber nicht mehr uniformieren. Ich ströme von einem Tag nach dem anderen hin. Vielleicht glaubt Gott der Ewige an mich ..."

Zeitlebens war Else Lasker-Schüler herzkrank. Unentwegt war sie verliebt, doch der Verlust geliebter Menschen und ihre heimatlose Armut haben ihr schließlich das Herz abgeschnürt. Gestorben ist sie am 22. Jänner 1945 an Angina pectoris, "sehr leise, ohne Kampf und in großer Ruhe". Beim Begräbnis auf dem Ölberg sprach der Rabbiner Kurt Wilhelm ihr Gedicht "Ich weiß, dass ich bald sterben muss" aus dem Jerusalemer Zyklus "Mein blaues Klavier", wo es in der letzten Strophe heißt: "Ich setze leise meinen Fuß / Auf den Pfad zum ewigen Heime."

Als Kind, so erzählt sie, wäre sie, der geliebten Mutter entgegen, aus dem Fenster gesprungen, wäre vom Sonnendach der Gartentür aufgefangen worden und hätte einen Schock erlitten und hinfort keine Schule mehr besucht. Das Lieblingsspiel des Mädchens war das Knopfspiel, in dem es verschieden gestaltete Knöpfe in bestimmten strophenartigen Ordnungen auflegte. "Aber einer der herrlichsten Knöpfe durfte überall liegen, wo er wollte, er war ... besät mit goldenen Sternlein, und ich staunte ihn an. Er war das Himmelreich meiner Knöpfe und hieß: Josef von Ägypten." Vielfach taucht in ihren Werken, Gedichten, Briefen und Zeichnungen diese Gestalt auf, der Name ihres Spiegelbildes Jussuf, Prinz von Theben, ist ja die arabische Form für Josef. An den englischen Germanisten Jethro Bithell, der eine Anthologie deutscher expressionistischer Lyrik mit neun Gedichten von ihr herausgegeben hat, schreibt sie 1909: "Ich sage Ihnen ja immer, ich bin Jussuf aus Egypten, schon der mageren Kühe wegen; auch trage ich den lammblutenden Rock ... und Träumedeuten ist meine besondere Begabung."

Träume und Schikanen

Trotz Anerkennung geht es der Dichterin zeitlebens finanziell sehr schlecht, so schlecht, dass sogar unter Freunden Geld für sie gesammelt wurde. Die notwendigen Sanatoriumsaufenthalte des tuberkulosekranken heiß geliebten Sohnes Paul konnte sie kaum finanzieren. 1932 erhält sie den Kleist-Preis - allerdings zu gleichen Teilen mit dem österreichischen Blut- und Boden-Dichter Richard Billinger. Der "Völkische Beobachter" stellt zu Else Lasker-Schüler fest: "Ihre Produkte sind waschechte Beduinenlyrik ... für uns ist, was immer eine Jüdin auch schreibt, vor allem keine deutsche Kunst." Eine geplante Aufführung des Dramas "Arthur Aronymus und seine Väter" wird 1933 kurz vor der Premiere abgesagt. Es folgen sechs bittere Jahre in der Schweiz, mit Unrast und behördlichen Schikanen ohne Ende. In einem Brief schreibt sie: "Wo ist unser buntes Theben, all die Dromedare und Kameele und Silbertauben. Die flattern blind umher - die Korallen ihnen ausgestochen wie mir mein Herz." Als sie 1939 zum dritten Mal nach Palästina reist, darf sie nicht mehr zurück. Begründung: "Aus vorsorglich armenpolizeilichen Gründen. - Ueberfremdung".

In Jerusalem schrieb sie eines ihrer bekanntesten Gedichte, "Mein blaues Klavier". Die glückliche Kindheit will sie bewahren im blauen Puppenklavier, aber die Zeit ist böse geworden und alles Erinnern Trauer. Die letzte Strophe, schlicht wie der Schlußchoral der Bach'schen Johannespassion , richtet die innige Bitte nach endgültigem Zuhause an die Wächterengel vor dem Tor des himmlischen Jerusalem: "Ach liebe Engel öffnet mir / - Ich aß vom bitteren Brote - / Mir lebend schon die Himmelstür - / Auch wider dem Verbote."

Der Autor ist freier Journalist.

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