Vier Sohlen für eine Welt

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Barack Obama hat mit Change geworben und gewonnen – „Global Change“ heißt die Kampagne Gregor Sieböck: Dafür geht der Bad Ischler wieder um die Welt und wirbt für Verzicht.

In Kalifornien wird Gregor Sieböck von einem US-Soldaten mit Maschinengewehr im Anschlag gestoppt: Militärisches Sperrgebiet, Durchgang verboten, der Soldat fordert den Weltwanderer auf, er solle dorthin zurückgehen, wo er herkomme. Sieböck lacht: „Ich gehe sicher nicht zurück“, gibt er zur Antwort, „das sind nämlich 11.000 Kilometer!“ Der Bad Ischler, der eineinhalb Jahre vorher im Salzkammergut gestartet und durch Westeuropa, Patagonien und die Anden marschiert ist, gibt aber nach drei Monaten und 1500 Kilometern zu Fuß durch die Vereinigten Staaten auf. Der „Kulturschock“ ist zu groß, die Autobahnen sind zu breit, die Auffassungsunterschiede zwischen seinem und dem dortigen Lebensstil nicht überbrückbar.

Im Hafen von Long Beach bei Los Angeles wird er fast zusammengeschlagen, weil er bei einem rücksichtslosen Radfahrer nicht schnell genug zur Seite springt; kein Tag, an dem ihn nicht die Polizei für einen Obdachlosen hält und kontrolliert und mit verständnislosem Kopfschütteln zurücklässt. „Wer in den USA nicht mit dem Auto fährt, gilt als Versager und wer zu Fuß geht, gilt als doppelter Versager“, zieht Sieböck seinen Schluss aus diesen Erfahrungen. Einen „Freak“ nennt ihn einmal ein Polizist – „wer von uns beiden verrückt ist“, denkt sich der unverstandene Wanderer, „warten wir ab, bis der Ölpreis einmal auf 250 Dollar pro Barrel ist …“

Solange will jedoch Gregor Sieböck selber nicht warten. 2003 startet er mit 26 Jahren seinen Marsch um den Globus. Anlass sind die kläglichen Ergebnisse der „Rio plus 10“-Umweltkonferenz in Johannesburg. Inspiration ist ihm der Leitsatz von Mahatma Gandhi: „Wir selbst müssen die Veränderungen sein, die wir in der Welt sehen wollen.“ Zuvor hat er Wirtschafts- und Umweltwissenschaften studiert. In Österreich, in den USA, auf Kuba und in Schweden, wo er auch für das Energieministerium arbeitet und Projekte zu Energieeffizienz und erneuerbaren Energiequellen entwickelt. Doch der Effekt dieser Arbeit ist ihm zu gering. Er will einen größeren Eindruck hinterlassen, indem er für einen kleinen „ökologischen Fußabdruck“ wirbt.

Menschheit auf Schlummerfunktion gestellt

Das Ergebnis dieser Messmethode (siehe Kasten) ist schrecklich einfach: Die Menschen verbrauchen mehr, als die Erde hergibt. Die Welt ist zu klein für zu große Ansprüche, will Gregor Sieböck mit seiner Geh-Kampagne „Global Change“ vermitteln und Einfach-Leben-Alternativen aufzeigen. Denn die Menschen wissen, dass sie mit ihrer Verschwendung der Ressourcen nicht so weitermachen können. „Wir sind aufgeweckt worden“, sagt er, „doch die meisten haben wieder auf Schlummerfunktion gestellt: Wir haben die Informationen. Wir wissen, dass wir aufstehen müssen, aber wir drehen uns um und schlafen weiter.“

Auf seiner Tour schläft Sieböck im Zelt. Das spart Geld, lässt ihn sein 15.000 Euro Budget für drei Jahre nicht überschreiten, ist aber auch eine schwere Last, wenn er jeden Morgen wieder sein Haus wie eine Schnecke auf seinen Rücken schnallt. Schon in Salzburg beginnt er die ersten Dinge zurückzulassen. „Man muss loslassen, um weiterzukommen“, ist die erste Lektion, die ihn der Weg lehrt. Verwunderung, Unverständnis, aber auch faszinierte Blicke und viele Einladungen sind die Reaktionen, die ihn auf und zwischen allen seinen Stationen begleiten. In Salzburg fragt er eine Frau, wie er ins fünf Kilometer entfernte Wals kommt. Sie rät ihm einen Bus zu nehmen, der Weg sei weit. Sieböck aber geht bis Wals und er geht und geht weiter … Ohne Bus, ohne Auto, ohne Zug, von einem Kontinent zum anderen fährt er mit Schiffen. Alexander von Humboldt ist sein großes Vorbild. Der Welterkunder hat auf seiner Lateinamerikareise auch keinen Liter fossilen Brennstoff verbraucht. Und er hat das gehabt, was sich Sieböck in seinen Fußstapfen nimmt: Zeit.

Und noch eine Gemeinsamkeit gibt es zwischen dem aufklärerischen Forscher Anfang des 19. Jahrhunderts und dem kampagnisierenden Weltwanderer zweihundert Jahre später: Sieböck verzichtet auf satellitengesteuerte Orientierung, ist wie sein Vorbild weiland mit Karte und Kompass unterwegs. Das führt unter anderem dazu, dass ihm in Portugal, wo es nur mehr Jahrzehnte altes Kartenmaterial für Querfeldein-Geher gibt, ein Industriekomplex oder eine Autobahn den Weg versperrt, wo laut Karte ein Wald gutes Weiterkommen versprochen hat.

Immer wieder kommt dem Wanderer auf seinen Wegen auch sein Wirtschaftsstudium in den Sinn. Er sieht, was Wirtschaftswachstum auch bedeutet: mehr Zerstörung, mehr Ausbeutung, mehr Straßen, mehr Verkehr, mehr Verschwendung … In Peru ziehen kilometerlange Lasterkolonnen in Richtung Exporthäfen an ihm vorbei – voll beladen mit Tropenholz. In Ecuador begleiten Pipelinerohre seinen Weg. Und dort wie anderswo säumen die Auswüchse globaler und nationaler Ungerechtigkeiten seinen Weg: arme Campesinos, Bauern, Tagelöhner, verwahrloste Kinder, denen weder das grüne noch das schwarze Gold nützt.

Butterbrot und heiße Badewanne – Glück

Im ecuadorianischen Quito, am Ende der uralten Königlichen Inkastraße, am Ausgang von 3000 Kilometer Einsamkeit, kommt Sieböck an einen Ort zurück, der zehn Jahre zuvor sein jugendliches Denken stark geprägt, seine Hochachtung für einen kleinen „ökologischen Fußabdruck“ geformt hat: Nach der Matura absolviert Sieböck dort seinen Zivilersatzdienst in einem Straßenkinderprojekt von „Don Bosco – Jugend Eine Welt“ und lernt den Reiz des einfachen Lebens kennen. Wieder in Österreich bleibt er dem kleinen Abdruck treu, macht keinen Führerschein, kauft kein Auto, spart für den großen Schritt, den er an jenem Tag setzt, „an dem ich einfach losgegangen bin“.

Handy nimmt er keines mit. „Das läutet dann nur, wenn ich in einer meditativen Gehphase bin“, sagt er sich und stellt sich damit schon darauf ein, dass unter seinen langen Wegen auch ein wichtiger Weg nach innen dabei sein wird: „Ich lernte mit allen Sinnen zu spüren. Vieles hatte ich früher übersehen, was ich nun bewusst beobachtete, vieles hatte ich überhört, und auf einmal schien die Welt Musik zu machen.“

Weniger ist mehr und wird oft zum Alles auf dem Weg: Das Butterbrot, das deutsche Touristen aus dem Reisebus ihrem Fast-Landsmann im Nirgendwo von Chile entgegenstrecken; ein Bett ab und zu, wenn der Schlafsack nicht mehr trocken werden will oder ein warmes Abendbrot bei neu gewonnenen Freunden; und zweimal in einem Jahr Lateinamerika ersetzt eine heiße Badewanne die kalte Wäsche im Bach.

Nach drei Jahren zurück in Österreich, gelingt Gregor Sieböck, was Al Gore ohne 15.000 Kilometer Fußmarsch schafft – er füllt mit seinen Vorträgen große Säle und macht Stimmung für eine ökologische Schuhgrößenverkleinerung: „Es ist hoch an der Zeit, sanfter aufzutreten. Im Geschäft kein Plastiksackerl zu nehmen, ist schon ein Fortschritt. Wir müssen Verantwortung für unser Handeln übernehmen.“

Und seit Mitte Juli ist Gregor Sieböck wieder unterwegs. Irgendwo in der Normandie müsste er jetzt sein. Auf E-Mail-Anfragen hat er noch nicht reagiert. Wahrscheinlich ist er gerade in einer meditativen Gehphase. Wohin ihn diesmal der Weg führt, ist ungewiss – gewiss ist aber, dass er genug Reservesohlen für seine Waldviertler Schuhe mithat: für einmal Welt und retour. Alles Gute!

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