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Eine Woche lang nun schon dieser Regen in Hanoi, dieser feine Monsunregen, der nicht und nicht aufhören will. Die Feuchtigkeit setzt sich überall fest, es gibt keine trockenen Kleidungsstücke mehr, keine trockenen Schuhe, und selbst das Bettzeug im Hotel fühlt sich klamm und feucht an. Die Räume riechen muffig. Langsam dringt die Feuchtigkeit durch bis zu den Knochen und verursacht rheumatische Beschwerden. Mittlerweile sind alle Gassen und Winkel der wunderbar morbiden Altstadt erkundet, sind die prachtvollen Kolonialvillen aus der Zeit der französischen Fremdherrschaft gewürdigt und alle Museen besichtigt, die es in Hanoi gibt (und es gibt einige, und einige großartige, wie etwa das ethnologische Museum am Stadtrand von Hanoi); auch die maßgeschneiderten Seidenkleider sind abgeholt - es gibt nichts mehr zu tun in Hanoi, außer herumzuhängen und darauf zu warten, dass dieser Regen aufhört, der aufs Gemüt drückt.

Selbst die Cafés am Ufer des Hoan Kiem, des kleinen Sees mitten in der Stadt, auf deren Terrassen sich bei Sonnenschein stundenlang so wunderbar Nichtstun lässt, haben mittlerweile etwas Trauriges. Über dem See hängt der Nebel - eine Stimmung wie im Salzkammergut zu Saisonende.

Doch alle Flüge von Hanoi weg sind ausgebucht, über Tage. Wir erfahren hautnah, was es heißt, wenn vom "dringend notwendigen Infrastrukturausbau" die Rede ist. Abflüge gehen nur einmal täglich in die grösseren Städte. Die Züge sind langsam, die Busse ebenso und auch noch unbequem, wegen des schlechten Zustands der einzigen Nord-Südverbindung. Ein Auto mieten? Ist nur mit Chauffeur möglich und ändert nichts an den Schlaglöchern.

Hué ist o.k.

Das Flugzeug kommt um dreiviertel acht Uhr morgens in der alten Kaiserstadt Hué an. Hué ist o.k., haben uns Freunde mit auf die Reise gegeben. Hué ist mehr als o.k. Ganz abgesehen davon, dass wir hier auf einer Terrasse inmitten eines Lotosblumenteichs die wirklich besten Frühlingsrollen des Landes (mit Shrimps, mit Gemüse, frittiert und gedämpft) essen und dabei durch die Fensterscheiben eine Hochzeitsgesellschaft beobachten, die selbstverständlich im schattigen Inneren des Lokals feiert und uns zusieht, wie wir uns mit Frühlingsrollen vollstopfen und dabei von der Mittagssonne verbrennen lassen - ganz abgesehen von diesem gesellschaftlichen und kulinarischen Ereignis ist Hué überaus besuchenswert.

Seit 1993 gehört Hué zum Weltkulturerbe der UNESCO, und allerorts wird renoviert und zu retten versucht, was noch zu retten ist. Denn in der ersten Periode nach dem Vietnamkrieg galten die Bauwerke - die Zitadelle, die Kaiserstadt, die verbotene Purpurstadt - den Kommunisten als unerwünschte Überbleibsel aus Zeiten des Feudalismus und waren dem Verfall preisgegeben.

Es ist vor allem die Bootsfahrt auf dem Parfümfluss zu den Kaisergräbern, die Hué zu einem so besonderen Erlebnis macht. Die Kaiser der Nguyen Dynastie haben offenbar um die prächtigsten Grabanlagen gewetteifert. Die luxuriösen, zum Teil pompösen Bauten, errichtet von Zwangsarbeitern, liegen in riesigen Arealen, inmitten dichter Wälder, umgeben von Teichen, Seen und Hügeln. Am Stil dieser "Häuser für die nächste Welt" lassen sich wunderbare Rückschlüsse auf den herrschenden Geist der jeweiligen Epoche ziehen und auf die politische Gesinnung ihrer späteren "Bewohner". Kaiser Khai Dinh etwa, der Vater des letzten vietnamesischen Kaisers, ließ sich in den zwanziger Jahren des 20. Jahrhunderts ein Grabmal errichten, aus dem sich ersehen lässt, dass er mit den Kolonialherren wohl gut konnte. Die protzige, überladene und dekadente Anlage seines Grabmals scheint geradezu symptomatisch für den Niedergang der vietnamesischen Kultur während der französischen Kolonialzeit. In etwa zur selben Zeit begann sich die Unabhängigkeitsbewegung im Land zu formieren, gründete Ho Chi Minh die kommunistische Partei Indochinas.

Ein geschichtsträchtiger Ort ist auch die Thien Mu Pagode hoch über dem Fluss. Hier möchten wir Stunden verweilen und die harmonische Atmosphäre geniessen, die Bonsais im Hof der Pagode betrachten und über den Mönch Thich Quang Duc nachdenken. Von hier aus war der Buddhist losgefahren, 1963, nach Saigon, wo er sich aus Protest gegen den katholischen und anti-kommunistischen Diktator Diem öffentlich verbrannte. Seine Tat schockierte die Weltöffentlichkeit. Der Austin, der ihn damals nach Saigon brachte, steht heute noch hinter dem Hauptheiligtum der Pagode. Die Fahrt auf dem Parfümfluss hat etwas Voyeuristisches - jedes Boot, das vorbeizieht, bietet Einblick ins Leben seiner Bewohner. Die Boote selbst blicken uns aus ihren großen, aufgemalten Augen an. Nur Flussboote haben Augen. Ein Hausaltärchen auf dem Dach beruhigt die Flussgeister. Dem Fluss scheinen selbstreinigende Kräfte zugeschrieben - wie sonst ist es möglich, dass gleichzeitig Abfälle und Abwässer hineingeschüttet und Fische gefangen und Wasser zum Kochen herausgeschöpft werden?

Spuren des Krieges

Eine lange Fahrt mit dem Minibus von Hué vorbei an Reisfeldern, Reisfeldern, Reisfeldern weiter in den Süden, nach Hoi An. Die Küstenstadt war einst eine der wichtigsten Hafenstädte Südostasiens, offen für Händler aus Portugal, Holland, China und Japan. So entstand eine einzigartige Mischkultur, deren Architektur sich bis heute gehalten hat. Vor ein paar Jahren haben einige alteingesessene Familien in der Altstadt ihre Häuser zur Besichtigung geöffnet. Die Eintrittsgelder verwenden sie für die Renovierung - und wohl auch fürs Leben. Frau Phung Hung serviert wunderbar duftenden Jasmintee und führt mit charmantem Lächeln durch die Räume. Es ist ein angenehm luftiges Haus mit großem Innenhof, durch das täglich zwischen 8 und 21 Uhr Touristen aus aller Welt stapfen. Die achtköpfige Familie hat für sich nur einen Privatraum behalten. Hoi An ist wahrscheinlich das Touristenzentrum des Landes. Verständlich: das gesamte Ensemble der Altstadt blieb vom Vietnamkrieg verschont. Der Ort hat eine zauberhafte Atmosphäre, in der erst kürzlich für die Verfilmung von Graham Green's "The Quiet American" gedreht wurde. Auch Hoi An gehört zum Weltkulturerbe, ebenso wie My Son. "Einst der bedeutendste Ort des Volkes der Cham, deren wichtigstes religiöses und kulturelles Zentrum", schreibt der Reiseführer. Und beschreibt damit natürlich nicht, was My Son wirklich ist. My Son ist wie aus einem Traum, ist eine versinkende Welt mitten im Urwald. Moosüberwuchert sind die Ruinen der Chamtempel. Aus allen Ritzen wächst neues Grün: Bambus, Blumen, Schlingpflanzen. Langsam nimmt der Dschungel das Heiligtum in seinen Besitz. Es ist ein Ort zum Schauen und Aufsaugen: die Grünschattierungen der Pflanzen, das Rot der Ziegel, die knallbunten Schmetterlinge gegen den schwarz-blauen Himmel, dazu der Lärm der Zikaden, die immer lauter werden, je dicker die Luft wird. Ehe sie einen erdrückt und erstickt kommt ein erlösender, kurzer, sehr heftiger Guss.

Als ob Bomben allein nicht genügt hätten, schickten die Amerikaner im Vietnamkrieg per Hubschrauber noch einen Pioniertrupp hierher, wo sie Vietcong-Stellungen vermuteten. Von manchem Tempel blieb nur mehr ein Haufen aus Ziegelsteinen, so manche Stele mit den geheimnisvollen Schriftzeichen der Cham hat zentimetertiefe Einschusslöcher.

Die Spuren des Krieges sind bis heute unübersehbar in Vietnam, und trotzdem hören wir kein böses Wort gegen die Amerikaner. Ist die Stimmung so friedlich, so harmonisch, so wenig aggressiv, wie kaum wo. Selten anderswo haben wir so viele Menschen mit so umwerfendem Charme und herzlicher Heiterkeit getroffen. Du darfst nicht glauben, dass das persönlich gemeint ist, meint mein Begleiter mit westlicher Skepsis, wenn dich die Leute anlächeln und so freundlich zu dir sind. Sie wollen dir nur was verkaufen.

Ich bin sicher, dass er irrt ...

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