Vision für die Jugend von Galiläa

Werbung
Werbung
Werbung

In Nazareth öffnete vor wenigen Wochen die erste christliche Hochschule ihre Pforten. Ein Hoffnungsschimmer für die christliche Minderheit.

Stolze Studenten mit strahlenden Gesichtern, verschleiert oder nicht verschleiert, drängen sich in den ersten Tagen der soeben in Nazareth neu eröffneten ersten Hochschule für Araber in die frisch adaptierten Unterrichtsräume. Endlich ist Leben in die oberen Stockwerke des Gebäudes auf einem der Hügel oberhalb der Altstadt von Nazareth eingekehrt.

Es ist eine kleine Sensation, dass die israelische Regierung nun endlich nach einem langen Tauziehen grünes Licht für den Beginn des Unterrichts zweier Fakultäten gegeben hat: Seit dem 1. November kann man am Nazareth Academic Institute (NAI) Chemie und Soziale Kommunikation studieren. Die Hochschule ist hauptsächlich für arabische Christen, Drusen und Muslime gedacht, steht aber auch Juden offen. Es wird auf Hebräisch, Englisch und Arabisch unterrichtet und ein Teil des akademischen Lehrkörpers sind jüdische Professoren.

Nazareth, die größte arabische Stadt in Israel und zu 70 Prozent muslimisch, hatte schon vor einigen Jahren auf einem hügeligen Stadtteil von Nazareth einen großen Gebäudekomplex mithilfe des Unterrichtsministeriums errichten lassen, um dort eine Mittelschule, ein College und eine Stadtbibliothek für die arabische Bevölkerung anzusiedeln. Die Stadtbibliothek wurde eröffnet und die Schule zog in das Erdgeschoss des Gebäudes ein, aber die oberen Stockwerke, die für das College vorgesehen waren, blieben leer. Aus innenpolitischen Gründen wurde das Hochschul-Projekt des kommunistischen Bürgermeisters von Nazareth, Ramez Jaraisi, immer wieder torpediert.

Kooperation mit Indianapolis

So traf es sich gut, als vor einiger Zeit Raed Mualem, der Rektor des ehemaligen Mar Elias College (MEC) in Ibillin - einer von Erzbischof Elias Chacour ins Leben gerufenen und von der amerikanischen University of Indianapolis als privaten Ableger gegründeten Hochschule für Araber -, von den leerstehenden Räumlichkeiten erfuhr und Jaraisi eine Zusammenarbeit anbot: Mualem, der schon seit längerem nach einem größeren Gebäude für seine expandierende Hochschule suchte, konnte in der Zwischenzeit auch vom israelischen Höheren Bildungsrat (CHE) die staatliche Anerkennung für zwei Fakultäten erwirken und den Bürgermeister für sein Projekt gewinnen. Bedingung des Höheren Bildungsrates war jedoch, den ursprünglichen Name der Hochschule zu ändern und die Lehrveranstaltungen unter dem neuen Namen Nazareth Academic Institute (NAI) weiterzuführen.

"Die Vision des NAI ist sehr wichtig", erklärte der israelische Bildungsminister, Gideon Sa'ar, während der offiziellen Besichtigung des Gebäudes in Nazareth, kurz vor der Eröffnung der Hochschule. Der Minister hob zwei wichtige Dimensionen der Hochschule hervor, die in dieser Form einzigartig für Israel sind: Einerseits biete die Hochschule "arabischen Frauen einen verstärkten Zugang zu einer höheren Bildung", andererseits sei der Schwerpunkt der Friedensforschung, der als ein "Studium generale" für alle verpflichtend ist und christlichen, muslimischen und jüdischen Studenten ermöglicht, gemeinsam den Unterricht über Koexistenz und Konfliktlösung zu besuchen. Die Hochschule sei "nicht nur für Israel, sondern für die ganze Welt von großer Bedeutung", so Sa'ar.

Als "ein Wunder" bezeichnet der melkitische Erzbischof von Haifa und ganz Galiläa Elias Chacour, Gründer der Hochschule und anderer schulischer Einrichtungen für die arabische Bevölkerung, die Tatsache, dass die israelische Regierung nun endlich bereit sei, eine Hochschule für die arabische Minderheit Israels moralisch zu unterstützen. "Jetzt bleibt nur zu hoffen, dass die Regierung die Hochschule in Zukunft auch finanziell unterstützen wird", erklärt der Erzbischof, der auf eine Zusage der Regierung fast nicht mehr zu hoffen wagte. "Gerade angesichts der Gewalt in der Region und des immer schneller fortschreitenden Exodus der christlichen Minderheit müssen wir den jungen Menschen eine Zukunft in ihrer Heimat eröffnen. Dafür ist Bildung ganz entscheidend." Es sollen noch weitere Fakultäten folgen, um den israelischen Arabern die besten Voraussetzungen auf einen Job mitzugeben - eine Fakultät für Informatik, für Beschäftigungstherapie, eine weitere für Umweltstudien und eine für Ernährungswissenschaften sind geplant. Inzwischen besteht auch eine Kooperation mit der von Daniel Barenboim ins Leben gerufenen Orpheus-Musikschule in Nazareth. "Wir planen auch eine Fakultät für Theologie, die sich vor allem mit der ostkirchlichen Tradition der Kirche beschäftigen soll, da ja ein Großteil der Christen in Israel Melkiten sind oder auch einer anderen orientalischen Tradition entstammen," erklärt Erzbischof Chacour.

"Das ganze akademische Programm ist darauf ausgerichtet, das Bildungskapital derjenigen zu fördern, die sich für Frieden, Liebe und Versöhnung einsetzen in dieser wunderbaren Stadt, wo alles vor 2000 Jahren begonnen hat", beteuert Raed Mualem, der junge Rektor, der gemeinsam mit George Kanazi, dem Präsidenten des NAI und emeritierten Professor für Arabische Literatur an der Haifa University, den Akkreditierungsprozess bei den israelischen Behörden vorangetrieben hat.

"Wir kooperieren mit verschiedenen Universitäten rund um die Welt, die spezialisiert sind auf unserem Gebiet", erklärt dazu Shany Payes, eine jüdische Expertin auf dem Gebiet der interkulturellen Friedensforschung, die vor kurzem ihr Doktorat in Oxford abgeschlossen hat und nun mit der Aufgabe betraut wurde, am Nazareth Academic Institute ein Friedenszentrum mit dem Schwerpunkt der Friedensforschung und Konfliktbewältigung zu etablieren. Ein eigens dafür geplanter Bau mit vier Gebetsräumen, je einen für Juden, Christen, Muslime und Drusen wird bereits von einem bekannten Wiener Architekten entworfen, während sich ein österreichischer Sponsor bereit erklärt hat, das Friedensprojekt zu finanzieren. "Unser Lehrkörper bietet den Studenten Möglichkeiten an, die sie nirgendwo anders finden", erläutert Payes, die schon während ihrer Recherche für die Doktorarbeit auf das von Chacour ins Leben gerufene Mar Elias College gestoßen war. Von der am College herrschenden interkulturellen Praxis begeistert, erhob sie das Mar Elias College in ihrer Doktorarbeit gleich zum Modell für eine gelungene friedvolle Koexistenz der verschiedenen Ethnien.

Akademische Frauenförderung

"Wir wollen hier mit unserer 2000 Jahre alten Zivilisation, die Leben hervorgebracht hat, fortfahren", meint Khalil Rinawi, der Dekan der Fakultät für Soziale Kommunikation, über die Zukunft des Instituts, während sich die muslimische Studentin Salam Dabbah, die sich an der Fakultät für Chemie inskribiert hat, auch ins Gespräch einbringt: "80 Prozent der arabischen Frauen finden einen Job, wenn sie einen Studienabschluss haben." Aber die Mehrzahl derer ohne Studium würde hingegen kaum einen Job finden. "Deshalb ist es essenziell, dass es in unserer Stadt eine Hochschule gibt und wir einen akademischen Abschluss bekommen können."

"Auch in Zukunft wird die Unterstützung der Hochschule enorm wichtig sein, damit die Vision von Erzbischof Chacour einer christlich inspirierten Hochschule für die Jugend von Galiläa, die für alle ethnischen Gruppierungen - Christen, Muslime, Drusen und Juden - offen ist, gewährleistet werden kann", erklärt Kurt Hengl, ehemaliger österreichischer Botschafter in Israel und Vizepräsident des Internationalen Kuratoriums der Hochschule Nazareth Academic Institute. "Jede Hilfe, ob auf politischer oder finanzieller Ebene, ein ehrenamtliches Engagement vor Ort oder auch nur das Gebet, ist mehr als willkommen."

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung