Visionär der künstlichen Welten

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Zum 100. Geburtstag von Walt Disney, der die westliche Kultur entscheidend mitprägte und dessen Visionen nun im 21. Jahrhundert Realität werden.

Die Zentren der westlichen Metropolen werden zusehends in Freizeitparks umgewandelt, in propere Welten, die von Kriminalität und Prostitution, aber auch von Armut und jeder Form von Unangepasstheit gesäubert sind. Disneysierung wird dieser Vorgang genannt, dem Experten für das 21. Jahrhundert eine große Zukunft voraussagen. Entstanden ist die Idee einer ästhetisch wie gesellschaftlich geschlossenen Stadt, in der Konsum und Unterhaltung perfektioniert und das Ideal der amerikanischen Durchschnittsfamilie glorifiziert wird, vor rund 50 Jahren im Kopf Walt Disneys, realisiert wurde sie erstmals 1955: mit Disneyland, das außerhalb der USA zum Inbegriff der gnadenlosen städtebaulichen Umsetzung einer amerikanisch-puritanischen Heile-Welt-Sucht wurde - die unvermeidliche Doppelmoral inbegriffen: Alkohol wird als angebliche Geißel der Menschheit in Disneyland nicht ausgeschenkt, obwohl sich sein Erfinder täglich mehrere Drinks genehmigte, der Belegschaft ist das Tragen von Bärten untersagt, obwohl Walt Disney selbst einen eleganten Schnurrbart zu tragen pflegte.

Walt Disney, der vor 100 Jahren am 5. Dezember 1901 geboren wurde, gilt als Schöpfer zweier Ikonen der amerikanischen Alltagskultur: Micky Maus und Donald Duck. Dabei stammt die berühmte Maus, mit der des Zeichentrickfilmers Erfolgsweg 1928 begann, nicht aus seiner Feder, er lieh ihr zwar seine Stimme, zeichnen konnte er sie aber nicht. Dafür war Walt Disney ein Visionär und ein begnadeter Organisator, der seine Ideen meisterhaft umzusetzen verstand. Er gilt in den USA auch heute noch als perfekte Verkörperung des Selfmademan, der sich aus dem Nichts nach ganz oben gearbeitet hat. Doch auf diesem Weg gab es einen großen Bruch, ohne den "Disneyfizierung" heute wahrscheinlich etwas anderes bedeuten würde.

Walt Disney trat an mit einem künstlerischen Anspruch. Was "seine" Figuren anfangs von anderen populären Zeichentrickfiguren unterschied, war eine ausgefeilte Charakterzeichnung und die für die Zeit jeweils perfekteste Technik. Mit den Kurzfilmen, die Disney verantwortete, setzte er neue Maßstäbe, seine ersten abendfüllenden Zeichentrickfilme bleiben bis heute unübertroffen. "Schneewittchen und die sieben Zwerge" (1937) ist Zeichentrick nahe der Vollendung, "Pinocchio" (1940) ein absolutes Meisterwerk. Sein dritter Film, "Fantasia" (1940) gilt heute als das Nonplusultra, blieb jedoch damals unverstanden. Trotz einiger der besten Szenen der Trickfilmgeschichte (der Tanz der Pilze, Micky Maus als Zauberlehrling) konnten weder Publikum noch Kritiker etwas anfangen mit den zum Teil abstrakten Bebilderungen klassischer Musikstücke von Bach, Beethoven, Tschaikowski und anderen.

"Diese Schlappe hat Walt Disney zeit seines Lebens nicht mehr verwunden", urteilt Andreas Platthaus in seiner Disney-Biografie "Von Mann und Maus - Die Welt des Walt Disney", in der er aus einer Analyse der Werke den mittlerweile selbst zur Kunstfigur gewordenen Menschen Walt Disney herausschält. Nach dem Scheitern von "Fantasia" betonte Walt Disney stets, wie sehr er alles verachte, was als Kunst zu gelten versuche und produzierte nur noch reine Unterhaltungsfilme. Statt seinen Traum in die Herzen und Köpfe der Menschen zu tragen, übersetzte er deren beschränkte Träume ohne Ansprüche in bewegte Bilder und lieferte ihnen damit eine Bestätigung. Lediglich die beiden Meisterwerke "Dumbo" (1941) und "Bambi" (1942), die schon vor der Zäsur begonnen worden waren, atmen noch den ursprünglichen Disney-Geist. Nach dem Ende des Krieges trat der Zeichentrick für Disney zunehmend in den Hintergrund, sein ungebrochener Unternehmungsgeist richtete sich auf Realfilme, Fernsehshows und Disneyland sowie dessen Nachfolgerin: die 1971, fünf Jahre nach Disneys Tod eröffnete Disneyworld, zu der seit fünf Jahren ein anderes noch von Walt Disney ersonnenes Projekt gehört: eine disneysierte Wohnsiedlung für 20.000 Menschen, die sich strengen Regeln zu unterwerfen haben: Sauberkeit, Ordnung, Anständigkeit im Disneyschen Sinn.

Noch ein Ereignis rief 1941 den künstlerischen und weltanschaulichen Bruch hervor: ein Streik lähmte Disneys Studio, womit auch diese von ihm mit Hingabe erschaffene Welt in ihren Grundfesten erschüttert wurde. Disney, der für Juden ebensowenig Sympathien übrig hatte wie für Frauenrechte - in seinem Studio herrschte strenge Geschlechtertrennung - wurde nun auch zum fanatischen Antikommunisten, der vor dem berüchtigten Ausschuss gegen "unamerikanische Umtriebe" Kollegen denunzierte. Nach außen jedoch wurde Walt Disney zum lieben Märchenonkel der braven, in ihrem Vorstadt-Einfamilienhaus lebenden Kleinfamilie und baute fleißig mit an jenem Idealbild, das die US-Kultur noch heute prägt. Zur Insignie seines Imperiums wurde folgerichtig Micky Maus, die - gleich ihrem Vater - von der jungen Wilden zur biederen Bewahrerin von Recht und Ordnung mutierte und nicht etwa der wesentlich populärere, aber zu anarchische Donald Duck.

Der Traum, der Walt Disney verwehrt blieb, den verwirklichte Carl Barks, meint Andreas Platthaus. Barks ist der legendäre Schöpfer zahlreicher Donald Duck-Geschichten, die für Comic-Fans zum Besten zählen, was diese Kunstform hervorgebracht hat. Er ist nicht nur der Schöpfer von Onkel Dagobert, sondern von ganz Entenhausen, der von Tieren aller Art bewohnten Metropole, in der es - in Gegensatz zu Disneyland - Elend und Verbrechen, Machtgier und Ausbeutung gibt. Walt Disney scheiterte an seinen eigenen Ansprüchen - und gab sie auf. "Das wahre Disneyland, wie es dem Ideal von Walt Disney entsprochen hätte, liegt in Entenhausen", meint Platthaus, "Ehrenpräsidente" der "Donaldisten" und daher erklärter Donald- und Barks-Adept: "Barks wurde ein zweiter Disney. Und ein besserer. Denn seine Welt behielt gerade dadurch ihren Charme, dass sie nicht wie Disneyland plötzlich Realität zu werden drohte."

VON MANN UND MAUS - DIE WELT DES WALT DISNEY

Von Andreas Platthaus Henschel Verlag, Berlin 2001

256 Seiten, geb., öS 291,-/e 21,15

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