Visionen totaler Potenz

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Künstliche Eizellen, künstliche Spermien und Jungfernzeugung: In der Reproduktionsmedizin scheint nichts mehr unmöglich zu sein.

Was manche als "ethisches Erdbeben" empfinden, geschah leise und fast unbemerkt. Beiläufig wurde Karin Hübner Zeugin, wie in ihrer Petrischale an der University of Pennsylvania ein Ereignis vonstatten ging, das sich gewöhnlich in den Tiefen des weiblichen Körpers jeder Beobachtung entzieht: ein Eisprung. In einer Kultur embryonaler Stammzellen der Maus hatten sich unter den Augen der staunenden Biologin Eizellen gebildet - "spontan und ohne Zusatz wachstumsfördernder Mittel", wie Hübner und ihr Laborchef Hans Schöler am 2. Mai im Wissenschaftsmagazin Science erklärten. Der einzige Trick habe darin bestanden, die künstlichen Eier mittels fluoreszierenden Farbstoffs auch zu identifizieren.

Was die in Amerika forschenden Deutschen zu Tage förderten, galt bisher als Ding der Unmöglichkeit: Aus embryonalen Stammzellen, so die gängige Lehrmeinung, könnten alle Zelltypen gezüchtet werden - nicht aber die Keimzellen eines Individuums. Die Experimente von Pennsylvania brachten nun dieses wissenschaftliche Dogma zum Einsturz. Und die Erschütterungen gingen noch weiter: So schickten sich die Eizellen in Schölers Labor an, ohne Befruchtung zu frühen Embryonen heranzureifen. Kurze Zeit später starben sie jedoch ab.

Kinder für Homosexuelle

Die Folgen ihrer kurzen Existenz für die bioethische Debatte sind gleichwohl enorm: Was, wenn diese Experimente auch beim Menschen gelingen? Was, wenn Schölers Prophezeiung wahr würde und nicht nur aus embryonalen Stammzellen, sondern aus jeder x-beliebigen Körperzelle ein Ei gezüchtet werden kann? Und was, wenn solch künstliche Eier mit einem Spermium befruchtet werden können? An Visionen totaler künstlicher Potenz mangelt es nicht: Künstlich gezüchtete Eier könnten jenen Menschen Kindersegen bescheren, denen die Natur dies heute versagt - etwa homosexuellen Paaren oder Frauen jenseits der Menopause. Zudem würden künstliche Eizellen ein ethisches Grundproblem des so genannten "therapeutischen Klonens" beseitigen: die aufwändige und in Österreich verbotene Eizellspende. Diese Entwicklung könnte vor allem bei Feministinnen Anklang finden, die vor einem Missbrauch von Frauen als Rohstofflieferantinnen für die Biomedizin warnen (vgl. Interview S. 9).

Genährt werden die künstlichen Reproduktionsfantasien durch jüngste Sensationsmeldungen aus Tokyo: Dort ist es einem Forscherteam gelungen, aus embryonalen Stammzellen der Maus Spermien zu gewinnen. Damit rückt die Aussicht, künstliche Eizellen mit normalen Samenzellen, normale Eizellen mit künstlichen Samenzellen - oder sogar künstliche Eier mit künstlichen Spermien - zu befruchten, gefährlich nahe. Umso mehr sehen sich Bioethiker mit den Grundfragen konfrontiert: Wann beginnt neues Leben? Was ist ein Embryo?

Eine Frage, die nach Meinung des evangelischen Theologen und Mitglieds der Bioethik-Kommission, Ulrich Körtner, immer schwerer zu beantworten ist: "Wir erleben immer mehr Zwischenformen", erklärt er im Furche-Gespräch: "Nach allgemeinem Verständnis entsteht ein Embryo durch die Verschmelzung von Ei- und Samenzelle. Doch darüber hinaus wird gestritten, ob jene Gebilde', die durch therapeutisches Klonen entstehen - also den Transfer einer Körperzelle in eine entkernte Eizelle -, auch Embryonen sind. Und nun stellt sich zudem die Frage, ob diese Gebilde' auch dann als Embryonen gelten, wenn die Eizellen gar nicht von einer Frau stammen."

Körtners Kollege in der Bioethik-Kommission, der Wiener Philosoph Günther Pöltner, hat auf diese Frage eine klare Antwort: "Jedes Gebilde, das sich zu einem selbständigen Individuum entwickeln kann - gleichgültig, ob es durch Klonierung oder durch Befruchtung entstanden ist, fällt unter den Begriff Embryo."

Freilich dürfe es gar nicht so weit kommen, dass künstliche menschliche Eizellen gezüchtet und befruchtet werden und zu Embryonen heranwachsen. Sonst entstünden gravierende Verwandtschaftsprobleme: "Welche Eltern hätte ein solches Kind, das mütterlicherseits aus nicht näher bekannten Stammzellen entstanden ist? Hier gibt es eine gespaltene Elternschaft." Auch aus einem anderen Grund ist Pöltner nicht für das Schölersche Tierexperiment zu begeistern: "Die künstlichen Eizellen werden aus embryonalen Stammzellen gewonnen - und für die ist es nach wie vor nötig, Embryonen zu zerstören. Am Problem der verbrauchenden Embryonenforschung beim Menschen ändert sich also nichts."

Jungfräuliche Zellen

Eine Ansicht, die der Wiener Genetiker Markus Hengstschläger teilt. Umso bahnbrechender schätzt er jene Entwicklung ein, die sich kürzlich im US-Biotech-Unternehmen Stemron vollzogen hat. Laut New Scientist ist es dort gelungen, unbefruchtete menschliche Eizellen durch elektrische oder chemische Impulse dazu zu bringen, sich selbst zu teilen. Sind diese durch Jungfernzeugung entstandenen Zellen erst einmal bis ins Blastozysten-Stadium angewachsen, so kann man daraus embryonale Stammzellen gewinnen. Dadurch könnten sich neue - und ethisch unbedenkliche - Alternativen zur verbrauchenden Embryonenforschung eröffnen, glaubt Hengstschläger: "Frauen könnten ihre Eizellen stimulieren lassen und daraus Stammzellen für eine Therapie gewinnen - ohne dass dafür ein Embryo zerstört wird."

Denn bei aller Unklarheit in den Begriffen: "Eine sich teilende Eizelle", so Hengstschläger, "ist eben noch lange kein Mensch."

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