Visionen von politischem Theater

19451960198020002020

Die bei den Wiener Festwochen gespielten Aufführungen aus Südosteuropa zeigen, wie unterschiedlich politisch engagiertes Theater sein kann. Das Spektrum reicht von Provokation bis zu Dokumentation.

19451960198020002020

Die bei den Wiener Festwochen gespielten Aufführungen aus Südosteuropa zeigen, wie unterschiedlich politisch engagiertes Theater sein kann. Das Spektrum reicht von Provokation bis zu Dokumentation.

Werbung
Werbung
Werbung

Brecht forderte vom politischen Denken einst, dass es "plumpes Denken" sein müsse. Einmal ungeachtet der Tatsache, dass diese verkürzte Anmerkung genauerer Erläuterung bedürfte, sei mit Blick auf gewisse Manifestationen des aktuellen politischen Theaters der Verdacht geäußert, dass für die Theaterpraxis ein ähnliches Postulat gilt.

Öde Provokation

Diese Vermutung wird aufs Nachdrücklichste genährt durch das jüngst bei den Wiener Festwochen uraufgeführte Stück "Unsere Gewalt und eure Gewalt" des in Kroatien lebenden Bosniers Oliver Frlji´c. Darin geht es um den Kampf des Orients gegen den Okzident. Dass der Intendant des Kroatischen Nationaltheaters in Rijeka die parlamentarische Demokratie für eine andere Form der Unterdrückung und ökonomische Ausbeutung hält, wurde ebenso erneut bestätigt, wie sein Ruf, dass er vor allem ein Mann der Provokation ist.

In "Unsere Gewalt und eure Gewalt" wiederholt Frlji´c seine Angriffe auf die westliche Wohlfühlkultur und bedient sich ausgiebig aus dem grobschlächtigen Repertoire seines Provokationstheaters. Da wird ein syrischer Flüchtling mit Alkohol und einem Schweinskopf gefoltert, eine Muslima zieht eine Österreich-Fahne aus ihrer Vagina, bevor sie von einer Jesus-Figur mit Dornenkrone und Österreich-Lendenschurz wüst vergewaltigt wird, acht Abu Ghraib- Häftlingen wird in endloser Wiederholung die Kehle durchgeschnitten.

So wichtig Hinweise auf Zusammenhänge zwischen europäischer Kolonialgeschichte und gegenwärtigen Krisen und darauf, dass der europäische Wohlstand auf Gewaltverhältnissen beruht, auch sein mögen: Die vereinfachenden Engführungen sind teilweise einfach nicht zutreffend. Die plumpen, dilettantischen Bilder wollen schockieren um des Schockierens willen. Erklären können sie nichts. Frlji´c missachtet, was der Theaterwissenschaftler Hans-Thies Lehmann über politisches Theater geschrieben hat: dass das Politische im Theater nur die Unterbrechung des Politischen sein könne. Sein Stück ist bloß eine ärgerliche, öde und überflüssige Doublette politischer Diskursivität.

Deutliche Symbolik

Auf seine Art drastisch, aber trotzdem ganz anders verfährt der ungarische Film- und Theaterregisseur Kornél Mundruczó. In seinem bei den Festwochen uraufgeführten Stück "Scheinleben/Látszatélet" thematisiert er die besorgniserregende Politik seines Heimatlandes, die sich über einen neuen Nationalismus und den Ausschluss von Minderheiten definiert. Erzählt wird die Geschichte zweier Frauen, die einander nicht begegnen, aber miteinander verbunden sind, weil sie nacheinander dieselbe Wohnung bewohnen.

Eine ältere Frau soll delogiert werden. Wir sehen auf einer Videowand ihr Gesicht während eines Interviews mit dem Angestellten eines Inkassobüros. Im Laufe des Gesprächs oder besser des Verhörs treten die perfiden Methoden der Behörden gegenüber der Roma-Minderheit ebenso zutage wie die Umstände von Frau Ruszós Leben. Dann hebt sich die Leinwand und wir sehen die Bühne, eine schäbige Wohnschlafzimmerküche, wo das Interview stattfindet. Als der Frau schlecht wird, ruft der Beamte ein Krankenhaus an. Aber die kommen nicht, denn: "Für diese Siedlung gelten andere Bestimmungen" und "rückten wir in solchen Fällen immer aus, ginge das ungarische Volk unter".

Dann passiert es. Mundruczó erweist sich erneut als Regisseur der deutlichen Symbolik. Unter Getöse und unendlich langsam dreht sich das Zimmer um seine eigene Achse. Die Schranktüren öffnen sich, Kleider, Spielzeug purzeln heraus, Elektrogeräte, Bügeleisen, Plattenspieler, Geschirr, alles fällt jeweils auf die jeweils gegenüberliegende Seite, bis das Zimmer in vollkommener Unordnung wieder in seiner ursprünglichen Position steht. Der desolate Zustand scheint die junge Nachmieterin, die mit dem Inkassobeamten gerade um Details im Mietvertrag feilscht, nicht zu stören. Zu groß ist die Not der Alleinerziehendenden.

Braves Dokumentartheater

Eine ganz andere Form von politischem Theater hat die rumänische Autorin und Regisseurin Gianina C arbunariu gewählt. Ihr Stück "Gewöhnliche Menschen" ist braves Dokumentartheater. Ihre Darsteller schlüpfen in zahlreiche Rollen integrer Menschen, die zum Wohle der Gesellschaft als Whistleblower zahlreiche Missstände in der Gesellschaft aufdecken. Dem Publikum bleibt dabei allerdings nur, sich über die Missstände zu empören und die Aufzählerei wohlwollend abzunicken.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung