Völkermord verschwiegen

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Eine Ausstellung in Wien erinnert an die gezielt herbeigeführte Hungersnot in der Ukraine 1932/33.

Die junge Ukrainerin im Lift des Österreichischen Haus-, Hof-und Staatsarchivs ist aufgewühlt: 73 Jahre liegen die Ereignisse zurück, von denen die Ausstellung "Hungersnot in der Ukraine" berichtet, aber ihre Großmutter hat ihr erst 1990, kurz vor dem Tod, flüsternd davon berichtet. In der Sowjetunion, deren Teil die Ukraine bis 1991 war, durfte nicht über den "Holodomor" (die politisch herbeigeführte Hungersnot) in der Kornkammer Europas geredet werden.

Dabei hatte Chruschtschow schon auf dem 20. Parteitag 1956 von den Verbrechen seines Vorgängers berichtet: Das kulturelle Leben der Ukrainer und ihr Verlangen nach einem eigenen Staat lief Stalins Idee vom Sowjetmenschen zuwider. So schaltete er zunächst die Intellektuellen aus. Dann begannen die Repressalien gegen die Bauern, die die Zwangskollektivierung (in Wahrheit Enteignung) ablehnten. Das sowjetische System setzte die Getreideabgaben-Quote der ukrainischen Bauern 1932 von 30 auf 40 Prozent hinauf. Keine Warnung fruchtete; ein Stalin blind ergebener Ökonom erklärte: "Unsere Aufgabe ist es nicht, Wirtschaft zu studieren, sondern sie zu verändern. Wir sind durch kein Gesetz gebunden. Bolschewiken stürmen jede Festung."

Die ukrainischen Bauern versuchten, mehr Getreide zu behalten als erlaubt. Verhöre, Drohungen, Belagerungen von Bauernhöfen, Verhaftungen folgten. 125.000 Menschen wurden nach dem "Ährengesetz" verurteilt, weil sie sozialistisches Eigentum verschwendet hätten. Kinder, die verrieten, wo ihre Eltern Korn versteckt hatten, wurden zu "Helden der Sowjetunion" ernannt. Mehr als 5000 Todesurteile brachen den ukrainischen Widerstand nicht.

Der nächste Schritt führte zum Völkermord: Von April 1932 bis November 1933, in 500 Tagen, starben zwischen fünf und sieben Millionen Bauern, weil jeglicher Handel unterbunden wurde und Stoßbrigaden fanatischer Jungkommunisten den Menschen alles Essbare, Getreide und Vieh, ja sogar das Saatgut, wegnahmen. Die Bauern durften ihre Dörfer nicht mehr verlassen. Schickten sie ihre Kinder in die Städte, damit sich Menschen wenigstens der Kleinen annähmen, brachten eigens dafür abgestellte Sondereinheiten die Kinder wieder in die Züge, die auf dem freien Feld hielten. Dort wurden sie ausgesetzt. Der amerikanische Weltreisende Carveth Wells fuhr im Sommer 1932 mit dem Zug durch die Ukraine und schrieb. "Vom Zugfenster aus sahen wir draußen Kinder auf den Wiesen, die Gras aßen. Die Bäuche vor Hunger enorm aufgebläht."

Die Kinder sollten nicht in den Städten sterben, wo sich das Korn ihrer Eltern auftürmte, um ins Ausland verkauft zu werden. Drei Millionen Kinder kamen so ums Leben, während ein geflohener sowjetischer Funktionär in London, Berlin und Paris in den Geschäften Butter mit der Verpackungsaufschrift "Produkt der UdSSR" sah.

Es gibt viele Zeugnisse, dass Menschen vor Hunger den Verstand verloren und in Kannibalismus verfielen. In die leeren Häuser der toten Ukrainer wurden Russen einquartiert. Für den Völkermord-Experten Gunnar Heinsohn ist das, was in der Ukraine geschah, "die schnellste gegen eine einzelne Volksgruppe gerichtete Massentötung des 20. Jahrhunderts und womöglich der Geschichte."

Vor den Grausamkeiten - wohlgemerkt in Friedenszeiten - verschloss der Westen die Augen. Der Auslandskorrespondent der New York Times, Walter Duranty, der von 1922 bis 1944 aus der Sowjetunion berichtete, verschwieg seinen Lesern die Vorgänge. Als die Verbrechen des stalinistischen Regimes nicht mehr zu leugnen waren, zitierte er Stalin: "Man kann kein Omelette machen, ohne einige Eier zu zerschlagen." Noch heute gibt es Leute im Westen, die diesen Völkermord leugnen, ihn als eine natürliche Katastrophe, eine Dürre, eine Epidemie hinstellen. Auch westliche Historiker machten um dieses furchtbare Kapitel bis Mitte der 1990er Jahre einen weiten Bogen.

Während der Sowjetzeit war das Thema in der Ukraine selbstverständlich tabu. Erschreckend ist, dass bei einer Umfrage in der Ukraine im Jahr 2003, also 70 Jahre danach, 13 Prozent der Befragten angaben, sie hätten noch nie etwas von der künstlich herbeigeführten Hungersnot in ihrem Land gehört.

Die Ausstellung: Fotos von Kindern, die zum Skelett abgemagert sind; Fotos von Leichen im Straßengraben, Briefe, Dokumente, Bücher, Landkarten - bescheidene Zeugnisse eines Verbrechens, das endlich dem Verschweigen entrissen werden muss, damit nie mehr Ähnliches geschehen kann.

Hungersnot in der Ukraine 1932/33

Haus-, Hof-und Staatsarchiv,

Minoritenplatz 1, 1010 Wien

Bis 24. 3. Mo-Fr 9-16 Uhr

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