Volksgesundheit hat ihren Preis

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Um das Milliardendefizit der Gebietskrankenkassen zu sanieren, soll auch bei Medikamenten gespart werden - zu Unrecht, wie der Autor meint. Ein Diskussionsbeitrag.

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Um das Milliardendefizit der Gebietskrankenkassen zu sanieren, soll auch bei Medikamenten gespart werden - zu Unrecht, wie der Autor meint. Ein Diskussionsbeitrag.

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Die Krankenkassen vermelden eine "Explosion" der Medikamentenkosten - womit der Verdacht von Preistreiberei im Raum hängt. Und dank zahlreicher Wortmeldungen (auch für "Spezialisten" sind eben Medikamentenpreise eher durchschaubar) entsteht der Eindruck, als wären Kassenausgaben gleich Gesundheitsaufwand und Medikamente der "dickste Brocken" davon.

Maßgeblich ist natürlich die Volksgesundheit insgesamt, und der Aufwand dafür umfaßt viel mehr: Etwa auch die Prämien für Privatversicherungen. Und alle nicht weiterverrechneten Selbstbehalte, Trinkgelder, "inoffiziellen" Honorare und vieles andere. Und Produktionsausfälle. Und Zuschüsse von Spitalserhaltern. Und Steuermilliarden für die Ausbildung von Ärzten und Schwestern!

Tatsache ist, daß auf Medikamente nur ein Fünftel der Kassenausgaben entfällt. Die Kassen profitieren obendrein davon, daß eine den Apothekern abverlangte niedrigere Spanne de facto als Quersubventionierung zu Lasten der Privatzahler wirkt, was heuer gut eine Milliarde ausmacht. Ein soeben zwischen Hauptverband und Kammer akkordierter "Solidaritätsbeitrag" wird - anstatt die Preise zu senken - die Verschleierung zugunsten der Kassen noch um weitere 200-400 Millionen erhöhen! Tatsache ist auch, daß die Arzneiausgaben der Kassen überproportional gestiegen sind, aber nicht wegen Preiserhöhungen, sondern aus strukturellen Gründen: Wegen höherer Lebenserwartung, wegen der Tendenz, von stationärer auf häusliche Behandlung umzustellen (was zwar die Gesamtkosten senkt, aber die Medikamentenkosten "explodieren" läßt, weil ja die in Spitälern verabreichten Medikamente nur unter "Spitalskosten" aufscheinen!) und wegen des Trends zu immer neuen und daher teureren Behandlungsmethoden und Medikamenten.

Hohe Kosten der Entwicklung Was aber macht ein neues Medikament teuer? Es sind die enormen Kosten für Entwicklung und Bewilligung, die sich erst nach Jahren amortisieren und bei kleinen Produktionsmengen besonders ins Gewicht fallen. Unsere oft bis ins Hysterische übersteigerten Auflagen für Sicherheit, Umwelt und Tierversuche rächen sich gleich doppelt: Einerseits liefern sie der Industrie den Vorwand, wegen zuweilen marginaler Verbesserungen ständig neue Produkte herausbringen zu "müssen". Andererseits können sich kleinere Firmen kaum noch Eigenentwicklungen leisten - mit dem Resultat, daß die Wertschöpfung im Ausland erfolgt, daß Akademiker, welche auf Steuerzahlers Kosten ausgebildet wurden, abwandern und daß wir höhere Preise zahlen.

Die Kassenkritik an "zu teuren" Verschreibungen resultiert aus planwirtschaftlichen Trugschlüssen: Der Patient kann sich nämlich (meistens) den Arzt selber aussuchen und daher in gewissem Ausmaß mitbestimmen, was und wieviel verschrieben wird. Und das ist gut so, denn wenn sogar der Placebo-Effekt wissenschaftlich nachweisbar ist, dann ist wohl auch ein "gewolltes" Präparat wirksamer (und daher volkswirtschaftlich sinnvoller) als ein ungewollter "Ersatz"!

In ihrem Eifer, die Verschwendung primär anderswo zu suchen, haben die Kassen "entdeckt", daß soundsoviele Medikamente in den Haushalten liegenbleiben und ablaufen. Gewiß schade, doch was wäre die Alternative?

Es gibt keine auf jeden Einzelfall abstellbaren Packungsgrößen, und "Maßanfertigungen" sind für den Apotheker sowieso ein reines Verlustgeschäft. Außerdem: Viele Leute fühlen sich bessser, wenn sie "eh was zu Hause haben", selbst das nicht eingenommene Präparat kann also eine Placebo-Wirkung haben.

Man muß sich stets vor Augen halten, daß die Herstellungskosten eines etablierten Medikaments im Durchschnitt nur einem Zehnel des Endverkaufspreises entsprechen. Wie bei anderen "kleinen" Massengütern - man denke an das Packerl mit fünf Schrauben im Hobby-Markt - stecken die Kosten vorwiegend in Lagerhaltung, Verteilung und Verrechnung, wobei Pharmazeutika noch dazu ein hochqualifiziertes und entsprechend teures Personal erfordern.

Hohe Kosten der Entwicklung Da aber solche Kosten je Packung anfallen und kaum vom Inhalt abhängen, kostet eine Doppelpackung kaum mehr als die einfache Packung. ("Kosten" im Sinne der betrieblichen Kostenrechnung, nicht als Verkaufspreis!) Und wenn nun die Industrie jeweils mehrere Größen erzeugen muß, damit Kassen zwecks Rezeptgebühren-Maximierung nur die kleinste bewilligen können, ergeben sich für die Volkswirtschaft eher Mehrkosten als Einsparungen! Volksgesundheit hat ihren Preis. Dieser Gesamtpreis ist dann am niedrigsten, wenn die Preise für Einzelleistungen möglichst proportional zu deren Kosten sind. Kontraproduktiv ist alles, was auf Querverschiebungen zwischen Produkten, zwischen Konsumentengruppen oder zwischen Erzeugern, Händlern und Kassen hinausläuft.

Der Autor ist Kolumnist und regelmäßiger Autor der Wochenzeitung "Zur Zeit".

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