Vom Aushalten der Leere

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Plädoyer für den Karsamstag - als Metapher und Meditation der gegenwärtigen Kirchenlage.

Die Leere aushalten": Unter diesem Titel publizierte vor kurzem der Wiener Liturgiewissenschafter Clemens Leonhard Überlegungen zur liturgischen Gestaltung des Karsamstags*) - und plädierte darin dafür, sich der biblischen Tradition zu besinnen: Der Tag zwischen Jesu Tod und Auferstehung war ein Sabbat - also der mit Gottes Gebot ("Achte auf den Sabbat: Halte ihn heilig!") begründete Ruhetag der Juden. Die Evangelien, die ja - in unterschiedlicher Interpretation - jüdisches Leben aus der Zeit des Juden Jesus überliefern, berichten übereinstimmend: Erst nach dem Sabbat kommen die Frauen zum Grab, in das man den Toten gelegt hat. Erst nach dem Sabbat entdecken sie, dass der ins Grab Gelegte nicht mehr da ist - und erst dann, erzählt das Neue Testament, beginnt die Oster-Verkündigung: Der Gekreuzigte ist der Auferstandene.

Clemens Leonhard setzt sich im zitierten Beitrag dafür ein, dass christliche Liturgie jene "biblische" Sabbatruhe des Karsamstags in den Blick nimmt: "Die Ruhe' des Sabbat ist eine den Menschen zutiefst erneuernde Aktivität und hat nichts mit der Unbeweglichkeit des gerade zu Tode gefolterten und hastig in eine Grabhöhle gelegten Leichnams Jesu gemeinsam. Es kann keine Nachahmung der Grabesruhe Jesu in der Liturgie geben." Daher, meint der Liturgiewissenschafter, wird, wer sich in die biblische Geschichte einfühlen wolle, kein "Heiliges Grab" aufsuchen - auch wenn sich diesbezüglich hierzulande örtliche Brauchtümer in vielfältigen Formen entwickelt haben.

Die Anregung des Liturgikers lautet also, am christlichen Karsamstag die den Menschen erneuernde Sabbatruhe ernstzunehmen. Das "Heilige Grab" stellt in dieser Sichtweise eine falsche und fragwürdige Dramatisierung der biblischen Berichte dar.

Dass hier der Liturgiefachmann zitiert und interpretiert wurde, hat nicht nur mit theoretischer Theologie zu tun. Denn Liturgie, die gerade in den Kar- und Ostertagen auch viele in die Kirchen treibt, die sich während des Jahres von der religiösen Institution Kirche entfernen, ist nicht nur das Feiern des Glaubens und in diesen Tagen im Besonderen die Verkündigung von Sterben, Tod und Auferstehung Jesu: Liturgie muss auch eine Metapher wie eine Meditation über den Menschen und über die Kirche sein, will sie nicht zu abgehobener Folklore oder inhaltsleerem Sakral-Pomp verkommen.

Ein Plädoyer für Nicht-Liturgie, eine Aufforderung zur Wiederentdeckung des Karsamstags als Tag der Leere, mag da vielleicht paradox klingen, kann aber sogar (kirchen)politische Relevanz und Brisanz zeigen.

Meditiert man in diesen Kar- und Ostertagen etwa Österreichs katholische Kirchensituation, so findet man viele Entsprechungen für einen "Karsamstag". Zehn Jahre sind es am 27. März, dass mit einer Zeitungsstory die Affäre Groër, die größte Krise der katholischen Kirche Österreichs, ins Rollen gebracht wurde. Am Gründonnerstag vor zehn Jahren wurde - unüblich schnell - mit der Ernennung Christoph Schönborns zum Koadjutor des Wiener Kardinals die Wachablöse an der skandalisierten Kirchenspitze eingeleitet. In den gleichen Kartagen 1995 entstand auch das Kirchenvolks-Begehren, die bis zum heutigen Tag unerreichte Großmanifestation der katholischen Kirchenbasis.

Zehn Jahre später sind Kirchenkonflikte in Wien, in St. Pölten etc. zur Ruhe gebracht und aufflackernde Initiativen wie das Kirchenvolks-Begehren eine - je nach Blickwinkel - gute oder auch im Nachhinein beängstigende Erinnerung. Ob diese und andere Ereignisse in diesem letzten Jahrzehnt aber eine klare Perspektive für die Zukunft aufzeigen, steht auf einem anderen Blatt.

"Die Erfahrung einer schmerzlichen Unerträglichkeit der liturgischen Leere selbst ist vielleicht genau der Weg, mit dem sich die Gemeinde nach der Osternacht zu sehnen lernt": So resümiert Liturgie-Experte Leonhard sein Eintreten für den Karsamstag als Tag eines liturgischen "Nichts", einer Sammlung, eines Zur-Ruhe-Kommens, wie es der Philosophie des jüdischen Sabbats entspricht.

Das liturgische Bild passt wie kaum ein anderes für die Gegenwart: Österreichs katholische Kirche befindet sich mitten im Karsamstag. Sie sollte nicht zurückschrecken, sich auf diesen - vielleicht langen - Tag der Leere einzulassen.

otto.friedrich@furche.at

*) Zeitschrift "Gottesdienst", Herder, 3. Februar 2005

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