Vom Elend der Schlachtfelder

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Maria Bill als überzeugende "Mutter Courage" am Wiener Volkstheater.

Die Handlung läuft unter einer Brücke ab - der passende Ort für "kleine Leut'", die sich in schweren Zeiten über Wasser halten müssen. Michael Schottenbergs Inszenierung des Brecht-Klassikers "Mutter Courage und ihre Kinder" im Wiener Volkstheater macht das ganze Elend des Krieges vorstellbar.

Bertolt Brecht hat der vom Barockautor Johann Jakob Christoffel von Grimmelshausen beschriebenen "Erzbetrügerin und Landstörzerin Courasche" aus dem Dreißigjährigen Krieg eine neue Note gegeben. Sie kommt allein aus dem nebligen Hintergrund, in dem sie am Ende wieder verschwindet: Anna Fierling, genannt "Mutter Courage", will, indem sie als fahrende Händlerin im Krieg ihr Geschäft zu machen versucht, ihre drei Kinder Eilif, Schweizerkas und Kattrin durch diese schreckliche Zeit bringen. Doch schon früh fällt der Satz: "Will vom Krieg leben, wird ihm wohl müssen auch was geben."

Und unbarmherzig entreißt ihr, dieser "Hyäne des Schlachtfeldes", wie sie einmal genannt wird, der Krieg letztlich alle Kinder. Dabei beweisen zwei von ihnen trotz allgemeiner Verrohung der Sitten und wachsender Verantwortungslosigkeit Charakter: Sohn Schweizerkas muss sterben, weil er die ihm anvertraute Regimentskasse in Sicherheit bringen will; die verunstaltete Tochter Kattrin opfert sich, um die bedrohte Stadt Halle vor einem nächtlichen Überfall zu warnen. Sohn Eilif wird hingerichtet, als er auch im kurzen Zwischenfrieden das tut, was im Krieg für ihn normal war: morden und plündern. Dass die "Courage" von seinem Tod nichts erfährt und sich am Ende noch auf die Suche nach ihm macht, ist ein ebenso tragischer wie menschlicher Schluss: Die Hoffnung stirbt zuletzt.

Auf der sehr durchdacht angelegten Bühne (Hans Kudlich) steht der desolat wirkende orangefarbene Lieferwagen der Mutter Courage im Zentrum. Die ständig die Spannung haltende Inszenierung von Michael Schottenberg lässt die Hauptdarstellerin und ihre Umgebung nicht zur Ruhe kommen: Es wird nicht nur deklamiert und agiert, sondern auch immer wieder mit allem Möglichen hantiert - man merkt, dass das "fahrende Volk" des 17. Jahrhunderts sich nicht leicht sein Brot verdient hat. Ein starker Einfall ist, dass Kattrin zum Trommeln jene roten Schuhe benützt, die sie sich so lange sehnlich gewünscht hat.

Vom Auftrittslied an beherrscht Maria Bill (Mutter Courage) die Bühne, sie spricht auch die erklärenden Texte zu Beginn jeder neuen Szene und reißt damit - getreu dem Brecht'schen "Verfremdungseffekt" - das Publikum kurz aus dem Geschehen. Und doch läuft kein Lehrstück ab, sondern blutvolles, die Gefühle mitreißendes Theater. Manchmal könnte etwas verständlicher und lauter gesprochen und gesungen werden, doch insgesamt lässt die Aufführung kaum einen Wunsch offen. Neben der grandiosen Hauptdarstellerin laufen vor allem Jennifer Frank als stumme Kattrin und Günter Franzmeier als Feldprediger zu Höchstleistungen auf. Auch die übrigen Hauptrollen - Eilif (Stefan Kreißig), Schweizerkas (Stefan Puntigam), Koch (Ernst Konarek), Yvette Pottier (Katharina Stemberger) - sind in sehr guten Händen. Das Premierenpublikum wirkte sehr beeindruckt und überschüttete vor allem Maria Bill mit Beifallsstürmen.

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