Vom Herausschälen des Wesentlichen

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Die gebürtige Niederösterreicherin Ingrid Loitfellner-Moser hat sich als Studentin in das Rauriser Tal verliebt. Heute lebt sie hier als Bäuerin, Sonderpädagogin, Fotografin und Schriftstellerin - und geht bei allem, was sie tut, den Dingen auf den Grund.

Dass sie hinaus will in die Welt, war Ingrid Loitfellner-Moser schon früh bewusst. Doch es war nicht Australien oder Südamerika, wohin es die damals 20-Jährige aus dem kleinen Nöchling im Bezirk Melk so heftig zog ("Das ist dort, wo Josef Hader herkommt“, sagt sie immer dazu); die BOKU-Studentin wollte vielmehr ins Rauriser Tal. Genau genommen war es die Litzlhofalm im Seidlwinkltal, wo sie zwei Sommer lang als Sennerin gearbeitet hat. "Im ersten Sommer habe ich mindestens 10 Kilo Bücher, die ich mir in der Bücherei ausgeborgt hatte, per Post an den Bauern geschickt“, erzählt sie. "Der hat sie dann mit der Materialseilbahn auf die Alm gebracht. Damals habe ich mir Sorgen gemacht, wie ich die Abende verbringen könnte.“ Schlussendlich gelesen hat sie ein Exemplar.

Es war das erste Andocken der jungen Frau an den "Lebensatem der Berge“, wie sie es heute beschreibt. "Dort oben weht ein Atem, ein Wind, der mich nahe zu den Steinen, den Pflanzen, zu den Tieren und letztendlich zum Sein gebracht hat.“

Werden- und Vergehenlassen

In diesen ersten Sommern ist ihr auch Franz begegnet, damals noch Bankbeamter in der Marktgemeinde Rauris, heute ihr Ehemann, Vater der drei gemeinsamen Kinder zwischen fünf und zehn Jahren - und leidenschaftlicher Bauer. Der Steinbachhof, auf dem die Familie heute gemeinsam mit den Schwiegereltern lebt, steht auf einem Schuttkegel. "Hier habe ich viel über Langsamkeit, über Werden-, Reifen- und Vergehenlassen gelernt - sowohl in der Landwirtschaft als auch im Umgang mit den Menschen im Tal und nicht zuletzt mit mir selber“, erzählt die 39-Jährige. Die ausgebildete Kindergartenpädagogin arbeitet fünfzehn Wochenstunden als Sonderpädagogin bei der Lebenshilfe in Zell am See und setzt auch hier ihr Lebensziel "vom Herausschälen des Wesentlichen“ um: "Ganz egal, wie schwer behindert ein Kind auch ist - es gibt jenen inneren Kern, zu dem es hin will, aus dem es seine Kraft schöpft. Die Kinder auf diesem Weg zu begleiten, sehe ich als meine vorrangige Aufgabe.“ Dieses Werdenlassen zu begleiten, sei mitunter anstrengender als einzugreifen, zu pushen; die dafür nötige Geduld habe ihre neue Heimat sie gelehrt. Auch bei ihren Fotoprojekten brauche es einen langen Atem: Wenn sie etwa eine Wolkenformation fotografieren will - und ihr der Wind das Motiv verbläst; oder wenn die Eisblumen in der Sonne schmelzen, bevor sie verewigt sind.

Loitfellner-Moser genießt es, dass ihre Mitmenschen hier in Rauris den Wert der Zeit sehr wohl kennen, dass sie einander in Ruhe lassen und einander auch im Alltagstrubel Zeit geben. "Wenn ich mit meinen drei Kindern knapp vor Geschäftsschluss noch im Großmarkt einkaufe, die Kinder bereits quengeln und ich immer ungeduldiger werde, sagt die Kassiererin oft ganz ruhig zu mir:, Ingrid, lass dir nur Zeit.‘ Das ist die Lebensqualität, die ich hier so schätze.“

Mittlerweile ist die gebürtige Niederösterreicherin längst Teil der Rauriser Lebenswelt und Kulturszene geworden: Die Einheimischen sind nicht zuletzt stolz auf "ihre Literaturpreisträgerin“. Es war 2006, als sie beim wichtigsten österreichischen Literaturfestival, den Rauriser Literaturtagen, teilgenommen hat. Das Wettbewerbsthema war "Flirt“. Während die Konkurrenz einfach über das Nächstliegende schrieb, ging Ingrid Loitfellner-Moser den Dingen wieder einmal von einer ganz anderen Seite auf den Grund - und reichte einen Text rund um die Zigarettenmarke "Flirt“ und die Vorgänge im Tabakanbau ein. Prompt gewann sie den Förderungspreis - als erste Einheimische. "Klar bin ich eine Einheimische, was sonst?“, sagt die Schriftstellerin, deren Texte unter anderem in der Literaturzeitung Salz erscheinen.

Werbung und Wirklichkeit

Nicht nur, wenn sie von Literatur erzählt, schwingt große Begeisterung für Wahrhaftigkeit mit - auch wenn sie von der Landwirtschaft und ihrer Vorstellung vom Urlaub am Bauernhof berichtet, den sie am Steinbachhof anbietet: "Die Gäste finden bei uns alles, was sie selbst zu finden bereit sind“, erklärt sie. "Butterrühren als Animationsprogramm wollen Franz und ich nicht anbieten. Wir nehmen uns aber Zeit und verstehen uns selbst auch als, Wohngemeinschaft auf Zeit‘.“

Das Herborgen von Schwimmflügerln gehört ebenso zu dieser temporären WG wie Informationen über die moderne Viehwirtschaft - inklusive künstlicher Befruchtung oder Embryotransfer. "Die Landwirtschaft ist eben kein Standbild mehr!“, sagt die Bäuerin - und muss über jene Werbungen lachen, wo die "gute Milch“ immer aus einer alten Milchkanne gegossen wird. "Die tun so, als wäre die Zeit stehen geblieben, aber ich will aus diesem Standbild heraustreten und den Gästen zeigen, dass sich das bäuerliche Berufsbild verändert hat. Und wir verändern es ganz tatkräftig mit. “ Ihr zehnjähriger Sohn Samuel will etwa später, wenn er groß ist, den Dachboden des Steinbachhofs ausbauen. "Vielleicht machen er und seine zwei Schwestern aber auch etwas ganz anderes“, sagt die Frau mit den vielen Facetten. "Wer weiß das schon.“

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