Vom Konstrukt zur Wirklichkeit

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Die Europaregion Centrope entstand am Papier und entwickelt sich zu einem realen Wirtschaftsraum mit den Vorteilen aus Ost und West.

Ich glaube, dass niemand ernsthaft daran zweifelt, dass Wien und Bratislava eine Region wären, hätte es den Eisernen Vorhang nicht gegeben", ist sich Peter Huber, Experte in Sachen Strukturwandel und Regionalentwicklung beim Österreichischen Institut für Wirtschaftsforschung (WIFO), sicher. Um genau diese Kooperation wieder einzurichten, die sich auf eine jahrhundertelange Tradition beruft, wurde im Jahr 2003 von europäischen Entscheidungsträgern "Centrope - Europa Region Mitte" ins Leben gerufen.

Die von Politikern konstruierte Region umfasst jedoch nicht nur Wien und Bratislava, sondern auch Niederösterreich, das Burgenland, Westtransdanubien, die Westslowakei, Süd-Mähren und Süd-Böhmen. In dieser Vierländerregion - Tschechien, Österreich, Ungarn und Slowakei - soll ein prosperierender Wirtschaftsraum mit einer Brückenfunktion zwischen Ost und West etabliert werden, in dem rund sieben Millionen Menschen leben. Eine solche regionale Ost-West-Kooperation in Europa ist einzigartig.

Gegensätze ...

Die Voraussetzungen der beteiligten Staaten sind denkbar unterschiedlich: Während Österreich schon seit der Gründung der Zweiten Republik die soziale Marktwirtschaft eingeführt hat, dominierte in Tschechien, Ungarn und der Slowakei bis 1990 die zentrale Planwirtschaft. Die Wirtschaftsbeziehungen zwischen den einzelnen Teilgebieten befinden sich durch die jahrzentelange Trennung derzeit noch immer in einer Aufbauphase. Faktum ist, dass der heterogene Markt Chancen bietet: Der benachbarte Osten lockt mit erheblich niedrigeren Lohnkosten und der nahe Westen mit hoher Kaufkraft. Österreichische Firmen - vor allem Banken und produzierende Betriebe - haben nicht erst seit der Osterweiterung der EU ihre Wachstumsmöglichkeiten in den Nachbarländern genützt.

Der Name "Centrope" suggeriert, dass die Region zentral, also in der Mitte Europas liegt. Diese Bezeichnung ist aber vom geografischen Standpunkt gesehen nicht richtig, da sich der Mittelpunkt eines Europa, das bis zum Ural-Gebirge reicht, bei den baltischen Staaten befindet. Nicht richtig ist es auch, wenn von der ökonomischen Mitte der Europäischen Union ausgegangen wird, denn Centrope ist keine Kernregion, die sich durch viele Anbieter und Nachfrager auf engem Raum auszeichnet. Der Name bezieht sich vielmehr auf die Lage zwischen Ost-und Westmarkt, die es miteinander zu kombinieren gilt. Peter Mayrhofer, EU-Osterweiterungs-und Globalisierungs-Experte des WIFO, sieht das Potenzial, sich am Markt zu profilieren, darin, "Produktionsnetze aufzubauen und ein gutes Westprodukt zu Ostpreisen herzustellen". Eine solche grenzüberschreitende Arbeitsteilung ist nur in wenigen europäischen Regionen möglich und eröffnet einen großen Wettbewerbsvorteil.

... ziehen ...

Centrope ist keine homogene Region, sondern unterteilt sich in viele sehr unterschiedliche Teilräume. Während im österreichischen Teil deutlich günstigere strukturelle Gegebenheiten zu finden sind, dominiert östlich der Grenzen großteils immer noch die Industrie die Wirtschaftslandschaft. Die ökonomische Grenze entspricht jedoch nicht immer der nationalen: rund um die Hauptstädte der neuen EU-Mitgliedsstaaten finden sich auch großer Wohlstand, hohe Löhne und niedrige Arbeitslosenraten. Die innerregionale Verschiedenheit kann allerdings auch von Vorteil sein: Unterschiedliche Spezialisierungen ermöglichen es, ein breites Produktspektrum anzubieten und mindern das Risiko von Rückschlägen.

... sich an

Centrope zieht besonders viele ausländische Direktinvestitionen an. Davon profitieren die Transformationsländer, denn das Engagement multinationaler Konzerne bedeutet nicht nur Wirtschaftswachstum, sondern auch Transfer von Technologie und Know-how. Der Anteil an Direktinvestitionen in den neuen EU-Ländern Zentraleuropas betrug im Jahr 2003 35 Prozent des Bruttoinlandsproduktes und liegt somit deutlich vor der EU-15 mit 33 Prozent.

Österreichs östliche Nachbarn sind auch im Bereich der Technologie auf dem Vormarsch, Peter Mayrhofer sieht in diesem Zusammenhang "eine gewisse Strukturpeitsche für beide Seiten: Österreich muss, so lange die Lohnunterschiede vorhanden sind, der technologisch führende Teil des Ganzen sein."

Trotz erster Erfolge ist das Projekt drei Jahre nach der Initiierung im burgenländischen Kittsee immer noch nicht ganz ausgereift und die Verflechtungen zwischen den einzelnen Regionen sind erst im Entstehen. Für die nächsten Jahre werden ehrgeizige Ziele forciert: Centrope möchte 2015 Knotenpunkt und Drehscheibe in einem neuen europäischen Wirtschaftsraum sein, der sich von der oberen Adria bis zur Ostsee erstreckt. Dies stellt die Region vor große Herausforderungen, vor allem im Infrastrukturausbau müssen nach den Worten endlich Taten folgen, sonst bleibt der gemeinsame Wirtschaftsraum bloß eine Idee. Diese "gemeinsame" Weiterentwicklung ist notwendig, damit ausländische Investoren die Region als attraktiven Standortraum wahrnehmen.

Das WIFO stellt seinem Bericht zu Centrope vom Juni 2006 ein Zitat über Mitteleuropa von Andrzej Stasiuk aus dem Buch Mein Europa vor: "Europa, dein Herz schlägt irgendwo zwischen Dijon und Paris, und dein schönes Haupt ist die Iberische Halbinsel auf dem blauen Kissen des Wassers: Dein unersättlicher Bauch ist Deutschland. Und ich? Das heißt wir? Sind wir etwa deine Lenden?" Centrope könnte einen Beitrag leisten, um Zentraleuropa eine neue Identität zu geben.

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