Vom Kutscher bis zum Hofrat

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Das Wien Museum überzeugt mit einer Kulturgeschichte des Wiener Wirtshauses.

Stehschank, Kühlwand, hölzerne Wandverkleidung, die schwarze Schiefertafel verspricht Frittatensuppe, Gulasch und Palatschinken: So sieht ein richtiges Wiener Wirtshaus aus. Das Wien Museum hat dieser Institution, die immer im Schatten der Mythen Kaffeehaus und Heuriger stand, eine Ausstellung gewidmet: Im Wirtshaus heißt sie und wirbt mit einem Plakat, das ein rot-weiß kariertes Tischtuch ziert. Fehlt nur noch das Ensemble aus Salz, Pfeffer, Zahnstocher und Maggiflasche.

Das Wirtshaus ist eine Stätte, an dem sich Angehörige verschiedener sozialer Schichten treffen - vom Kutscher bis zum Hofrat. Die Schau beleuchtet diesen Ort stiller Zecher und familiärer Feste, der bis zum Aufkommen von Radio und Fernsehen für viele der einzige Ort der Unterhaltung war, von zahlreichen, teils überraschenden Seiten. So gab es in Wien seit dem 19. Jahrhundert auch rein vegetarische Gaststätten. Thematisiert werden auch die unausweichlichen Gender-Aspekte: vom Stereotyp der Frau als Störerin der Wirtshausgeselligkeit, die zu Hause mit dem Nudelwalker wartet, bis hin zum Typus der resoluten Wirtin - etwa der legendären Novak-Schwestern, die einmal sogar dem seinerzeitigen Bundeskanzler Franz Vranitzky den Einlass in den "Gmoa-Keller" verweigerten.

Stammtisch-Politik

Das Gasthaus war auch stets ein politischer Schauplatz. Die Revolution von 1848 erhob sich von den bürgerlichen Stammtischen und den Kneipenabenden der Studentenschaft. Für die Arbeiterbewegung wurde das Wirtshaus zum Zankapfel. Die Positionen "Das Wirtshaus ist das einzige Bollwerk der politischen Freiheit des Proletariers" (Karl Kautsky) und "Ein denkender Arbeiter trinkt nicht, ein trinkender Arbeiter denkt nicht" (Victor Adler) standen einander unverrückbar gegenüber.

Die ältesten Wirtshäuser

Auch die früheste Erwähnung eines Wirtshauses auf Wiener Boden ist mit einem politischen Ereignis verbunden, und zwar von europäischer Bedeutung: In einem Einkehrgasthaus in Erdberg fiel 1192 der englische König Richard Löwenherz in die Hände des Babenberger-Herzogs Leopold. Der älteste archäologische Nachweis eines gastgewerblichen Betriebes stammt aus dem zweiten Jahrhundert. Teile dieser vor zwei Jahren ausgegrabenen Überreste einer Garküche werden im Wien Museum erstmals öffentlich gezeigt.

Im Mittelalter und in der Neuzeit ging man vor allem des Trinkens wegen zum Wirten. Im 19. Jahrhundert jedoch beschleunigte die im rasant wachsenden Wien herrschende Wohnungsnot den Wandel des Wirtshauses zum Ort der billigen Verköstigung. Viele Gäste waren Bettgeher, in deren winzigen Unterkünften es weder einen Aufenthaltsraum noch eine Küche gab. Zu dieser Zeit entstand auch die klassische Wiener (Wirtshaus-)Küche: Leberknödelsuppe, Gulasch, Wienerschnitzel, Beuschel, Schweinsbraten, Backhendl, Erdäpfelsalat, Buchteln mit Vanillesauce und so fort.

Nach dem Zweiten Weltkrieg begann das Wirtshaussterben, das seinen Höhepunkt zu Beginn der 1970er Jahre erreichte. Schuld war der steigende Wohlstand in Verbindung mit einer "mentalen Stadtflucht". Neue Einkaufsmöglichkeiten und moderne Küchen erlaubten auch zu Hause die Zubereitung von günstigem Essen; statt am Stammtisch verbrachten viele ihre Freizeit vor dem Fernsehapparat. Hinzu kam die Konkurrenz durch exotische Speiselokale mit jugoslawischer, italienischer und chinesischer Küche.

Eine Allianz von Politikern wie Erhard Busek und Künstlern wie André Heller, der von der "Beuschel-mit-Knödel-Herrlichkeit" schwärmte, leitete schließlich die "Beisl-Renaissance" ein. Freilich sind die traditionellen Wirtshäuser heute nur noch ein Segment eines breiten gastronomischen Angebots - aber das Wirtshaus hat überlebt, wie das Wien Museum mit Beispielen lebender Wirtshauskultur belegt.

Beisls Tod und Auferstehung

"Käme es zu einer Volksabstimmung, ob man alle Wirtshäuser sperren oder den Stephansdom abreißen solle - wir sind uns sicher, wofür sich die Wiener entscheiden würden", geben Martina und Karl Hohenlohe, Chefredakteurin bzw. Herausgeber des österreichischen Gault Millau im Katalog zu Protokoll. Und es klingt so, als würden sie größtes Verständnis für diese Entscheidung aufbringen.

Im Wirtshaus - Eine Geschichte

der Wiener Geselligkeit

Wien Museum Karlsplatz, 1040 Wien

www.wienmuseum.at

Bis 23. 9. Di-So u. Feiertag 9-18 Uhr

Katalog hg. v. Ulrike Spring, Wolfgang Kos und Wolfgang Freitag, Czernin Verlag, Wien 2007, € 29,-

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