Vom KZ Mauthausen in das Bundeskanzleramt

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Zum 110. Geburtstag von Leopold Figl wird in Mauthausen eine Gedenkskulptur enthüllt. Sie soll an die sechsjährige Haft des späteren Bundeskanzlers in Konzentrationslagern erinnern.

Er zählte zu den ersten Österreichern, die von den Nazis verhaftet wurden: Bereits am 12. März 1938, dem Tag nach Schuschniggs Rücktritt, wurde der spätere Bundeskanzler, Außenminister und Nationalratspräsident in seiner Wiener Wohnung festgenommen und nach Dachau deportiert.

Der christlich-soziale Bauernsohn und Halbwaise aus dem Tullner Feld hatte schnell Karriere beim Niederösterreichischen Bauernbund, einem damaligen Machtzentrum österreichischer Politik, gemacht. Seine politischen Aktivitäten in den Dreißigerjahren waren von einer radikal anti-nationalsozialistischen Haltung bestimmt, die ihm schwer zu stehen kam: Von den sieben Jahren der NS-Herrschaft sollte er fast sechs Jahre in Gefängnissen und Konzentrationslagern eingesperrt sein. Neben den Lagern Dachau und Flossenbürg war er 1944 und 1945 einige Monate im Bunker des Konzentrationslagers Mauthausen eingekerkert.

"Es muss ein schwer fassbares Gefühl gewesen sein, als Figl im Juni 1947 das ehemalige KZ aus der Hand der Russen in die Obhut der Republik übernahm“, schreibt Historiker Wolfgang J. Bandion. Figl schwor an diesem Ort, "Mauthausen zu einer Gedenkstätte für die Opfer und einem Mahnmal für die kommenden Generationen zu machen“.

Nun soll eine von Stephan Hilge entworfene Gedenkskulptur Figls erlittene Gefangenschaft und seine unermüdliche Arbeit für den Wiederaufbau symbolisieren. Begleitend erscheint die Publikation "Leopold Figl für Österreich“. Darin werden Figls Jahre der Verfolgung - der weniger bekannte Ausschnitt seiner Biografie - beleuchtet.

Mit viel Glück überlebte er drei Lager

Die erste Station seines Martyriums war Dachau: Dort wurde Figl wie allen KZ-Häftlingen jeglicher Besitz abgenommen, er bekam die gestreifte Häftlingskleidung und wurde kahlgeschoren. Selbst im KZ bekannte er sich zu seinem christlichen Glauben und zu Österreich. Immer wieder geriet er so ins Visier der KZ-Schergen und erlitt drakonische Strafen, wodurch er bleibende gesundheitliche Schäden davontrug.

Eine Typhus-Epidemie im KZ Dachau überlebte Figl nur knapp. Seinem Freund, dem Journalisten Rudolf Kalmar, blieb der Schock über Figls Aussehen bei einem kurzen Wiedersehen durch das Fenster einer der "Typhusbaracken“ in Erinnerung: "Ein unvorstellbarer, gespenstischer Anblick hinter dem schmutzigen Glas. Bleich und verfallen. Das schmale Gesicht gehörte kaum noch zu ihm.“ Lagerkameraden brachten dem wegen seiner Hilfsbereitschaft beliebten Figl entwendete Lebensmittel, sodass er wieder zu Kräften kam.

Nach fast 2000 Tagen Haft wurde Figl im Mai 1943 aus Dachau entlassen und konnte nach Wien zurückkehren. Wegen seiner politischen Untergrundaktivitäten musste er sich wöchentlich zu Verhören bei der Gestapoleitstelle melden. Im Oktober 1944 wurde er erneut verhaftet und in das Konzentrationslager Mauthausen gebracht. Das oberösterreichische Lager galt als eines der berüchtigsten: Der Steinbruch und die Todesstiege, die Existenz moderner Hinrichtungseinrichtungen, sogar der Gaskammern, war in Widerstandskreisen zumindest gerüchteweise bekannt. Dort versuchte die Gestapo, Figl die Preisgabe von Namen und Netzwerken des Widerstandes abzupressen, doch er schwieg.

Schließlich wurde Figl für einen Prozess vor dem Volksgerichtshof ins Landesgericht Wien gebracht. Die Wahrscheinlichkeit, dass der Prozess mit dem Urteil "Tod durch das Fallbeil“ enden würde, war hoch. Als die letzten SS-Truppen angesichts der anrückenden Roten Armee aus Wien abzogen, konnte er am 5. April 1945 das Gefängnis verlassen. Schon eine Woche später wurde Figl von den Russen mit der Lebensmittelversorgung Wiens beauftragt - damit ging seine Verfolgung nahtlos in seine politische Tätigkeit über.

In seiner Weihnachtsansprache 1945 wandte er sich an die österreichische Bevölkerung: "Ich kann Euch zu Weihnachten nichts geben, ich kann Euch für den Christbaum, wenn ihr überhaupt einen habt, keine Kerzen geben, kein Stück Brot, keine Kohle. Wir haben nichts. Ich kann Euch nur bitten, glaubt an dieses Österreich!“

"Österreich ist frei!“ - auch von der Schuld?

Figl stand immer zu seiner Vergangenheit als politischer Gefangener: Gedenkveranstaltungen waren bei ihm Fixtermine, zu ehemaligen KZ-Kameraden hielt er weiterhin persönlichen Kontakt. Parteipolitische Unterschiede machte er dabei nicht. War Figl bis zu seiner Deportation ausschließlich im Umfeld von Bauernbund, Christlichsozialer Partei und politischem Katholizismus sozialisiert worden, so teilte er im KZ das Häftlingsschicksal mit Sozialdemokraten und Kommunisten. Wohl nicht zuletzt dadurch geprägt, blieb er bis zu seinem Tod ein Verfechter der Großen Koalition.

Am 15. Mai 1955 unterzeichnete Figl im Schloss Belvedere als Außenminister für Österreich den Staatsvertrag, sprach die historischen Worte "Österreich ist frei!“ und zeigte der jubelnden Menge vom Balkon aus den Vertrag. Er drängte bei den Verhandlungen zum Staatsvertrag 1955 darauf, dass die Mitschulds-Klausel für Österreich gestrichen wurde: Einerseits wurden so Entschädigungszahlungen abgewehrt. Andererseits wurde damit der "Opfermythos“ völkerrechtlich begründet: So leistete Figl einen wohl ungewollten Beitrag, dass Tätern und Mitläufern Verantwortung für ihre Taten erspart blieb und die Zweite Republik erst in den späten 1980er-Jahren damit begann, die "Opferthese“ selbstkritisch zu hinterfragen und daraus Konsequenzen zu ziehen.

Die Ironie der Geschichte will es, dass Figl einer der wenigen österreichischen Politiker war, die den Kriterien der Moskauer Deklaration von 1943 gerecht wurden: Er zählte zu den ersten Opfern des Nazi-Regimes und trug seinen Anteil zur Befreiung Österreichs im Widerstand gegen das Regime bei. Das Bild vom "listigen“ und "fröhlichen“ Figl, das sich ab der Zeit des Staatsvertrages entwickelte, umreißt eher das Nachleben der Ikone Figl in der Zweiten Republik.

Leopold Figl für Österreich

Hg. v. Wolfgang J. Bandion und Helmut Wohnout,

Internationale Kulturwissenschaftliche

Gesellschaft Wien, Karl-von-Vogelsang-Institut.

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