Vom Ling und vom Klang

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Deutschstunde

Im romantischen Schneegestöber durch die Straße stapfend, entsteht vor dem inneren Auge bereits die Vorstellung, wie es wenige Tage später sein wird, wenn Gatsch und Matsch das Trottoir bedecken. Zugleich erhebt sich die Kindheitserinnerung an die Wonne, durch eben diesen Gatsch und Matsch zu patschen, und es ist eine Sinfonie in Klängen, die sich zu mehreren Sätzen türmt. Ehe man daheim die nassen Latschen gegen trockene Patschen austauscht - nicht in der Datschen, das bleibt dem Russen vorbehalten. Denn bei uns wird es dann bald auch wieder Frühling. Und da enthüllt sich eine Seltsamkeit. Etymologisch, also sprachwissenschaftlich betrachtet. Früh-ling.

Das Suffix (also die angehängte Silbe) -ling bedeutet in der Sprachwissenschaft eine Verkleinerung, oft auch eine Verschlechterung. Und gleichzeitig wird das Wort, ungeachtet des Stammes, zum männlichen Substantiv. Also der Daumen zum Däumling, die Faust zum Fäustling, aus feig wird der Feigling. Doch halt, allem Frühling wohnt ein Zauber inne! Eine privat-etymologische Theorie, und wer ein Herz hat, wird sie akzeptieren - die schöne Silbe -ling hat nicht nur den dumpfen Klang des Maskulinen, sondern auch das helle Silber der Verwandling, pardon, Verwandlung.

Zur Sonne, zum Frühling

Der Engerling, in dem in der Tat noch der mittelhochdeutsche Wurm steckt, verwandelt sich in einen wunderschönen Käfer, der im Mai und Juni durch die Luft brummt. Und der Engerling ist eine parallele Figur zur Raupe, die sich plötzlich entpuppt. Wenn die Raupe verschwindet, ist der Frühling nah - denn durch die Luft gaukelt der Schmetterling, jenes Urbild gelungener Metamorphose und Entwicklung hin zu strahlender Schönheit und prächtigster Naturentfaltung. Dass wiederum der Schmetter vom slawischen Rahm kommt (noch sichtbar im Butterfly), steht auf einem anderen Blatt. Und interpretierte man Schmetterling als den kleinen Schlag, dann wäre man ja auf Österreichisch auch wieder beim Obers. Also oben auf.

Die alten Griechen übrigens nannten den Schmetterling "Psyche“, gleichbedeutend "Seele, Atem oder Hauch“. Also etwas Feinstgesponnenes, Ungreifbares, Unverzichtbares. Wie der Klang des Frühlings.

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