Vom Nutzen des Anarchismus

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Ich switchte durchs Fernsehen und blieb in einer deutschen Politdiskussion hängen. Der frühere sächsische Ministerpräsident Kurt Biedenkopf, immerhin Professor für Handels-, Wirtschafts-und Arbeitsrecht und später cdu-Generalsekretär, ließ sich zu einer geradezu anarchistischen Äußerung hinreißen: Das Volk wisse sich zu helfen, Schwarzarbeit sei die Antwort auf wirkungslose Konzepte der Politik gegen die Arbeitslosigkeit.

Schon vor Jahren erklärte mir der Sozialethiker und Gregoriana-Professor Johannes Schasching, dass die italienische Wirtschaft zu 30 Prozent economia sommersa sei, Schattenwirtschaft, die an staatlichen Regeln und Steuern vorbei agiert, aber Italien seiner chaotischen Politik zum Trotz am Leben erhält. Im Berlusconi-Land ist der Prozentsatz wahrscheinlich gestiegen und scheint überdies Eingang in höhere Wirtschaftskreise gefunden zu haben.

Im Rundfunk, erinnere ich mich, verlangte der Honorarcomputer Arbeitsstunden im Vorhinein einzugeben; weil das nicht möglich war, wurde er mit Phantasiezahlen gefüttert. Universitätsangehörige müssen neuerdings in Leistungsvereinbarungen voraussagen, was ihnen in zwei Jahren einfallen wird.

Die Maschen der Gesetze werden enger, die verpönte Planwirtschaft wird neu erfunden. Der Neoliberalismus entpuppt sich als Zwangsveranstaltung, in deren Rücken die Anarchie blüht. In Frankreich gehen die Menschen auf die Straße, anderswo schert man sich in aller Ruhe nicht mehr um die Vorschriften von oben. Die Reaktionen sind Temperamentssache. Anarchie ist ohne Zweifel gefährlich, aber zugleich eine notwendige Überlebensstrategie, wo der Plan das Leben zu ersticken droht. Wann wird die Politik daraus die Lehren ziehen?

Der Autor ist freier Journalist.

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