Vom Scheitern an der Sehnsucht

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Es geschieht nicht oft, dass ein junger Dramatiker sich an einen historischen Stoff wagt. Anders der Oberösterreicher Thomas Arzt, Jahrgang 1983. Seinem vergangenen Freitag im Schauspielhaus Wien in der Regie von Alexander Charim uraufgeführten Stück "Johnny Breitwieser" liegt die reale Biografie des 1891 in Meidling in ärmliche Verhältnisse hineingeborenen Johannes Breitwieser zu Grunde.

Klassische Kleinkriminellenkarriere

Mit knappen Worten wird im ersten der elf Lieder, für die der 35-jährige US-Pop-Komponist Jherek Bischoff eine wunderbar melancholisch-orchestrale Musik für Streichquartett und Schlaginstrumente komponiert hat, Breitwiesers Leben zusammengefasst: "Johnny stahl die Herzen /Und auch das Kapital /Bis eine Kugel Blei /Ihm auch das Leben stahl".

Das ist kurz besungen die beinahe klassische Karriere des Kleinkriminellen aus der Vorstadt, der sich während des Ersten Weltkrieges -dem Frontdienst konnte er sich durch ein simuliertes Nervenleiden entziehen -zum Einbrecherkönig mausert, von den Reichen nimmt und auch an die Armen verteilt, bis er 1919 nach etlichen Ausbrüchen aus dem Gefängnis schließlich verraten und von der Polizei erschossen wird.

Was mag einen jungen Dramatiker von heute an dieser Biografie interessiert haben oder anders gefragt, was macht Breitwiesers kurzes Leben für uns heute interessant? Dass er eine Type war, ein Vorstadt-Dandy, der nicht nur die Schlösser zu den Villen aufbrach, sondern auch so manches Frauenherz, dass er zum Liebling der proletarischen Massen und zum Robin Hood des Proletariats wurde: allein diese Tatsachen klingen nach Dashiell Hammet und gäben Stoff für so manchen Film. Aber Theater?

Abgesehen davon, erzählt Arzt in den fast drei Stunden wenig Konkretes. Das nicht nur formal (zu) nah an Brecht/Weills "Dreigroschenoper" angelehnte Stück führt in dreißig zum Teil ganz kurzen Szenen durch das Leben des Strizzis, wobei weder dessen romantisch-abenteuerliches Leben -mit Einbrüchen, wilden Verfolgungsjagden, Eroberungen und Liebschaften -wirklich eine große Rolle spielt, noch die Frage zu beantworten wäre, wie Breitwieser der wurde, der er war. Dazu heißt es einmal ganz lapidar (und obendrein sozialdarwinistisch): Die Verhältnisse sind schuld an mir.

Bei genauerem Hinhören wird allerdings etwas offenbar, was möglicherweise dem Autor selbst nicht ganz bewusst wurde oder nur zu wenig ausgearbeitet ist: Breitwieser möchte nicht der sein, der er ist, nicht Gangsterboss, Verführer oder gar (politischer) Volksheld. Er möchte ein ganz normales - und das ist in seiner Vorstellung ein kleinbürgerliches -Leben führen. Aber das will ihm nicht gelingen, die soziale Wirklichkeit erlaubt das nicht.

Vergebliches Aufbegehren

So gesehen könnte man das Stück mehr noch als Moritat eines lokalen Ganoven oder als Ballade von der Rebellion gegen die Verhältnisse oder als Parabel vom Kampf gegen gesellschaftliche Ungleichheit - und damit als Stück über das moderne Prekariat, wie Arzt im Programmheft meint -, denn vielmehr als Elegie vom Leben mit einer vergeblichen Sehnsucht lesen. Vor diesem Hintergrund gewänne Breitwiesers kriminelles Handeln etwas Überhöhtes, Symbolisches, wäre es zu verstehen als Vergeblichkeit des Aufbegehrens gegen das Schicksal. So würde sein Scheitern zur modernen Parabel über die Souveränität menschlicher Existenz.

Aber es gelingt der Regie von Alexander Charim nur in einigen wenigen Momenten, dieses auch für heutige Zuschauer interessante Thema zur Erscheinung zu bringen. Am eindrücklichsten vielleicht der kongenialen Bühne von Ivan Bazak. Ein die ganze Bühnenbreite einnehmender Rahmen ist vertikal mit metallischen Drähten oder elastischen Gummiriemen bespannt. Die Drähte werden mit Zangen gekappt, durch die Riemen zwängen sich die Darsteller zum Auftritt. Diese Bühne zeigt die Welt als Gefängnis, aus dem es weder diesseits noch jenseits ein Entrinnen gibt.

Johnny Breitwieser Schauspielhaus Wien 12., 13., 21. Dezember, 2., 20., 21., 31. Jänner

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