Vom schwierigen Verhältnis der Bürger zur Oper

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Er ist Schauspieler und Regisseur, feiert in diesen Tagen seinen 50. Geburtstag: Martin Wuttke. Am Sonntag erfolgt die Premiere von "Nach der Oper. Würgeengel“, Wuttkes Bühnenversion des Films "Der Würgeengel“.

Schauspieler und Regisseur Martin Wuttke wurde diese Woche, am 8. Februar, 50 Jahre alt. Dieser Jubiläumsgeburtstag hält ihn nicht davon ab, intensiv an seiner Bühnenversion von Luis Buñuels Film "Der Würgeengel“ (1962) zu arbeiten. Am Sonntag findet die Premiere unter dem Titel "Nach der Oper. Würgeengel“ im Kasino am Schwarzenbergplatz in Wien statt.

Seine Rollen? Seit 2007 spielt er den Kriminalkommissar Andreas Keppler im Leipziger "Tatort“, in Quentin Tarantinos Film "Inglorious Basterds“ verkörperte er Adolf Hitler. In Wien ist der Burgschauspieler zurzeit in der Titelrolle von Anton Tschechows "Platonov“ sowie in René Polleschs "Die Liebe zum Nochniedagewesenen“ zu sehen. Mit Pollesch arbeitet Wuttke seit Jahren zusammen. "Seine Produktionen handeln nicht von individuellen, alltäglich-authentischen Geschichten, sondern von all dem, was darüber hinaus geht“, so Wuttke.

Alle Mittel dem Theater

Am "Würgeengel“ interessiert ihn das Verhältnis von Bühne, Spiel und Zuschauer. Natürlich verwendet er auch filmische Mittel, denn der Film gehört für ihn genauso zum Theater wie Tanz und Musik. Luis Buñuel stand der Zukunft des Films pessimistisch gegenüber: "Ich halte den Film für eine vorübergehende und gefährdete Kunst. Sie ist eng an die Entwicklung der Technik gebunden“, so seine Prognose. Wie sieht das Martin Wuttke? "Tatsächlich haben sich unser Verständnis und der Umgang mit dem Film komplett verändert. Wir machen ja dauernd Bilder, mit dem Handy, mit Digitalkameras. Bewegte Bilder zu machen, ist längst kein Privileg mehr. Ich würde das nicht nur pessimistisch sehen, aber das muss dann auch eine Form von Herausforderung sein.“ An Buñuels Film interessiert Wuttke die Beziehung der bourgeoisen Gesellschaft zur Oper. In seiner Inszenierung findet das Geschehen nicht nach der Aufführung, sondern parallel statt - auch wenn der Titel "Nach der Oper. Würgeengel“ lautet.

Wuttke lässt den dritten Akt von Richard Wagners "Tristan und Isolde“ aufführen. Neben Agnes Palmisano, Hege Gustava Tjönn singen Martin Mairinger und Duccio Dal Monte. Arno Waschk ist mit dem Orchester der Universität für Musik und Darstellende Kunst (mdw) dabei. Wuttke hat also ein Riesen-Ensemble zur Verfügung: Neben den Musikern treten 18 Burgschauspieler auf.

Im Untertitel definiert Wuttke seine Produktion als "masochistische Komödie“: Eine solche verstecke sich im Verhältnis der bürgerlichen Gesellschaft zur Oper, so seine These. Der Begriff begegnete ihm bei der Lektüre eines Buches über die Komödie, "da geht es um ein Spiel, bei dem alle Beteiligten wissen, dass es sich um ein solches handelt, es durchschauen, dennoch mitspielen und gerade deshalb einen Lustgewinn daraus ziehen.“ Nicht nur der Regisseur, auch der Schauspieler Wuttke reflektiert das Wesen des Spiels für seine Arbeit. "Im Theater geht es immer um den Moment, da ist nichts aufgezeichnet. In dem Augenblick, wo ich die Bühne betrete, wird alles, was ich mache, als Spiel betrachtet. Deshalb kann es im Grunde keine Textfehler geben, denn es gehört alles zusammen. Ich benutze das Theater wie ein Werkzeug. Ich habe nicht das Verständnis, dass ich den Texten dienen sollte, sondern umgekehrt.“

Befreiung durch Nachspielen

Seine Herangehensweise erklärt Wuttke als eine Art Offenheit allen Überraschungen gegenüber. "Es sind die Unfälle, die einen Bruch in der Kontinuität bewirken und Wirklichkeit produzieren. Das ist die Frage, die mich treibt: Wie kommt man an diese Brüche heran? So wie in Buñuels Film, wo sich plötzlich alles ändert, ohne dass es erklärt wird.“ Trotz nicht erkennbarer Hindernisse ist Buñuels Gesellschaft eingeschlossen. Die Lebensmittel gehen aus, sämtliche Regeln der Etikette werden über Bord geworfen. Es geht um das nackte Überleben. Erst durch das Nachspielen von Situationen aus der Vergangenheit heben sich diese unsichtbaren Grenzen auf. "Genau das ist Buñuels Angebot: Diese Gesellschaft im ‚Würgeengel‘ kann sich befreien, indem sie ihr Zusammensein noch einmal nachspielt. Erst dann kann das Echte, das sogenannte Authentische überwunden werden.“

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