Vom sozial engagierten Buddhismus

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Wie der amerikanische Zen-Meister Bernie Glassman Roshi den Buddhismus verändert. Erfahrungen nach einer Begegnung im Zentrum St. Virgil, Salzburg.

Als Bernie Glassman vor 22 Jahren das erste Mal auf die Straße ging, fanden er und seine Gruppe Essen und Unterkunft bei christlichen Hilfsorganisationen. Heute ist es selbstverständlich, dass Buddhismus gesellschaftlich engagiert ist: Meditation im Gefängnis, im Spital, mit Drogenabhängigen sind einige Felder. Doch Tetsugen Bernard Glassman Roshi betont, dass es ihm um mehr geht.

Demnächst will der Mitbegründer des "Sozial engagierten Buddhismus“ und ein bedeutender Zen-Meister der Gegenwart wieder ein "Straßen-Retreat“ leiten. Mit einer kleinen Gruppe lebt und meditiert er wie Bettler und Obdachlose auf der Straße: eine direkte Erfahrung, genauso wie das einwöchige "Bearing-Witness-Retreat“ der Zen-Peacemaker im ehemaligen KZ Auschwitz, das seit 1996 jährlich im November stattfindet. Beides sind "plunges“, ein "Eintauchen“ in unbekannte, Angst und Ablehnung erregende Situationen. "Plunges“ sind eine spirituelle Übung, um die eigenen egoistischen Grenzen zu überschreiten. Sie bewirken mehr als Jahre individualistischer Meditationsübung am Sitzkissen, sagt Zen-Meister Bernie Glassman.

Straßen- und Auschwitz-Retreats

Das aktive Eintreten für sozial Schwache und Ausgegrenzte ist für Glassman Verwirklichung des "Erwachens“, der Erleuchtung. Das sehen nicht alle Buddhisten so. Roshi Glassman würde den Buddhismus ruinieren, hieß es, als der ehemalige NASA-Mathematiker und Zen-Meister 1982 im New Yorker Stadtteil Yonkers die "Bakery“ eröffnete, die Arbeitslosen, ehemaligen Drogendealern eine Möglichkeit zum Einstieg in die Arbeitswelt bietet - und für seine Zen-Schüler ein Übungsfeld darstellt, da im Zen körperliche Arbeit traditionell ein Teil des Übungsweges ist. Die Essenz des Buddhismus liegt im "Erwachen“ - in der persönlichen Erfahrung, dass alles Leben miteinander verbunden ist und das "Ich“ nur ein Aspekt dieser Einheit ist, zu der auch die Ausgegrenzten und sozial Schwachen gehören. "Alles ist Buddha-Natur“, sagte der japanische Zen-Meister Dogen (1200-53).

"Erwachen“ heißt, die rosarote Brille abzulegen und Armut, Hunger, Krieg, Völkermord klar wahrzunehmen, ohne Urteile oder Lösungsrezepte. "Not knowing - nicht wissen“ ist die Basis, um Zeuge zu sein für die Einheit der Wirklichkeit. "Bearing witness“, nennt Glassman das; und daraus entsteht ein liebevolles Handeln, "loving action“. Dies sind die drei Grundsätze der internationalen Gemeinschaft Zen-Peacemaker, die Glassman 1996 gründete, und die auch in Wien einen Ableger hat ( www.zenpeacemakers.org).

Brownies mit Kultstatus

Begonnen hat alles mit der "Bakery“, deren Brownies Kultstatus genießen und täglich in großer Menge an Gourmettempel New Yorks geliefert werden. Die "Bakery“ gibt rund 65 Menschen eine neue Perspektive für ihr Leben. Sie ist ein Teil der Greyston Foundation, einem umfassenden Sozialprojekt aus einem Netzwerk von Profit- und Non-Profit-Unternehmen, das 15 Millionen Dollar pro Jahr umsetzt und den Bedürfnissen von rund 1200 Frauen, Männern und Kindern dient - mit Wohnprojekten für Familien mit niedrigem Einkommen, Kinderbetreuung, Schulprogrammen, Gemeinschaftsgärten und einem Betreuungszentrum für Aidskranke.

Das mehrfach ausgezeichnete Vorzeigemodell für sozial engagiertes Unternehmertum gilt als bestentwickeltes Modell einer "kontemplativen Organisation“: Zum Alltag gehören Phasen der Stille-Meditation genauso wie der "Council“, ein intensives, beziehungsorientiertes Kreisgespräch.

Mit spiritueller Praxis ist es wie mit dem Kochen, sagt Glassman und spielt "Anweisungen für den Koch“ an - ein Buch des Zenmeisters Dogen, das Glassman zeitgenössisch interpretiert hat. Man muss zunächst herausfinden, welche Ingredienzen es gibt, und dann kann man daraus eine Mahlzeit bereiten. Die Ingredienzien sind unsere eigenen Gefühle, Sehnsüchte, Ängste, Wahrnehmungen, die ganze Situation, in der man sich gemeinsam mit anderen findet, sagt Glassman. "Wir müssen die Ingredienzien wahrnehmen, das, was in jedem Augenblick geschieht. Wenn wir uns nicht darum kümmern, werden wir auch nicht angemessen handeln können. Denn die Dinge geschehen einfach. Es ist wie mit einem Blinden, der die Wand, vor der er steht, nicht sehen kann und hineinrennt. Die Dinge passieren, auch wenn wir uns weigern, sie wahrzunehmen, und wir gegen die Mauer rennen und uns und andere verletzen.“

Alte Fotos zeigen Glassman in der traditionellen Kleidung der japanischen Soto-Zen-Schule, in der er 1976 zum Lehrer und später zum Roshi ernannt wurde. Diesen hierarchischen Status hat er vor einigen Jahren zurückgelegt. Denn die asiatischen monastischen Strukturen müssen erweitert und verändert werden, sagt Glassman. Im Westen verändert sich der Buddhismus. "Das Leben passiert einfach, und wir müssen der Situation entsprechen.“

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