Vom Sterben des Armen Mannes

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Für einen Oscar hat es diesmal nicht gereicht. Dennoch ist Alejandro González Iñárritus jüngster Film "Biutiful“ eine Offenbarung: Vor allem, aber nicht nur durch Javier Bardems Darstellung entpuppt sich das poetische Melodram als großes Kino.

Seit Alejandro González Iñárritus Stern mit "Amores Perros“ vor gut einem Jahrzehnt auf dem internationalen Filmhimmel aufgegangen ist, muss mit dem Regie-Berserker gerechnet werden. Schien bislang Kunst die Verschachtelung von Episoden zu einem rasanten Filmganzen dessen große Meisterschaft zu sein (etwa auch in "Babel“ 2006), so erweist sich der mexikanische Filmemacher in seinem letzten Opus als Poet des Kinos, der behutsam und gleichzeitig voller Leidenschaft von den kleinen Freuden und dem großen Leid seiner Protagonisten erzählt: "Biutiful“ ist eine der berührendsten und eindrücklichsten Arbeiten des letzten Filmjahres. 2010 errang Hauptdarsteller Javier Bardem in Cannes dafür auch die Silberne Palme für die beste männliche Hauptrolle, bei den Oscars war er für die nämliche Auszeichnung nominiert. Und in der Tat: Was der spanische Filmheroe hier an nuancierter Leistung vorlegt, macht ihm so schnell keiner nach.

Keine wohlbestallte Existenz

Eine Geschichte vom Sterben des armen Mannes ist dieses Stück: Es handelt davon, dass einer, der sich recht und schlecht, aber gekonnt durchs Leben schlägt, auf einmal beginnen muss, seine Dinge zu ordnen. Denn das vorzeitige Ende eines Lebens kündigt sich an. Und das ist für einen in unwirtlichen Verhältnissen Lebenden mindestens so schwer zu ertragen wie in einer wohlbestallten Existenz.

Uxbal, so der Name des Kleinganoven, beschützt in Barcelona afrikanische Straßenhändler vor der Polizei durch deren Bestechung und vermittelt illegale Einwanderer an ausbeuterische Arbeitgeber. Von seiner psychisch kranken Frau Marambra (Maricel Álvarez) ist er geschieden - und versucht doch immer wieder in Kontakt zu kommen und zu bleiben. Und seinen beiden Kindern Ana (kongenial: Hanaa Bouchaib) und Mateo (Guillermo Estrella) ist er ein abgöttisch liebender Vater.

Solches Leben sucht Uxbal zu bewältigen, obwohl alles aus dem Ruder läuft: Versöhnungsversuche mit Marambra leiden unter dem Menetekel ihrer psychischen Instabilität. Und auch die "Arbeit“ steht unter einem Unstern: Die afrikanischen Straßenhändler geraten in die Fänge der Polizei, die von ihm vermittelten chinesischen Illegalen kommen - Mann, Frau und Kind im Dutzend - auf tragische Weise ums Leben.

Schließlich muss sich Uxbal mit der eigenen, tödlichen Diagnose - Krebs im terminalen Stadium - herumschlagen. Herzzerreißend der Plot, und dennoch nähert sich der Film solchem Schicksal auf eine Weise, welche mit "Poesie des Sterbens und Lebens“ unzulänglich, aber treffend charakterisiert werden kann.

Wider die Verdrängung des Todes

Die moderne Gesellschaft leide, neben vielen anderen Dingen, an einer "grundlegenden Thanatophobie - einer Angst vor dem Tod“: So benennt Regisseur González Iñárritu den Ausgangspunkt seines Films. Dieser kollektiven wie individuellen Verdrängung setzt er seinen Uxbal entgegen, der an der Herausforderung wächst und in diesem Setting der Verzweiflung nicht nur zu seiner eigenen Mitte findet, sondern so etwas wie Hoffnung für die gezeigte, eben ganz und gar unwirtliche Welt, aufkeimen lässt.

Kraft auf dem Weg hin zum Ende

In dieser Umgebung des alltäglichen Kampfes ums Dasein ist für religiöse Reflexion scheinbar kein Platz - dennoch kehrt gerade "Biutiful“ eine solche hervor: Uxbal sucht Rat bei einer Art Heilerin, die ihm auf den Weg hin zum Tod Kraft gibt. Das ist kein alltäglicher Zugang, jedenfalls kein traditionell christlicher, aber González Iñárritu selbst schreibt, dass sich "die interne Spirale Uxbals ins Innere und Spirituelle“ bewege, während die soziale und politische Realität Europas seine externe Spirale in die Gegenrichtung biege.

Diese Berührung von Innen und Außen thematisiert "Biutiful“ grandios. Das ist eben gerade dem nuancierten Changieren von Javier Bardem geschuldet: Wer den spanischen Filmstar als oscargekrönten Auftragskiller Chigurh in "No Country for Old Men“, dem Oscar-Abräumer der Coen-Brüder 2008, in Erinnerung hat, sollte sich dieses Mal bezaubern lassen, zu welcher Herzensgröße dieser Mime auf der Leinwand gleichfalls fähig ist.

Autoren- und Schauspielerkino vom Feinsten also.

Biutiful

MEX/USA 2010.

Regie: Alejandro González Iñárritu.

Mit Javier Bardem, Maricel Álvarez, Hanaa Bouchaib, Guillermo Estrella.

Filmladen. 142 Min. Ab 27. 5.

Die Rezensionen von "Kaboom“ und "Periferic“ fanden sich bereits in der letztwöchigen FURCHE.

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