Vom Vorstadtgeiger zum Weltbürger

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"Gestern Nachmittag hat der Souverän im Weltreiche des Dreivierteltaktes seinen letzten Seufzer ausgehaucht": Johann Strauß, gestorben am 3. Juni 1899.

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"Gestern Nachmittag hat der Souverän im Weltreiche des Dreivierteltaktes seinen letzten Seufzer ausgehaucht": Johann Strauß, gestorben am 3. Juni 1899.

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Perpetuum mobile" heißt eines der bekanntesten Musikstücke von Johann Strauß. Und wie ein Perpetuum mobile dreht sich die Popularitätsschraube des "Walzerkönigs" auch noch 100 Jahre nach seinem Tod am 3. Juni 1899 in schwindlige Höhen. Seine "Fledermaus" ist, neben Franz Lehars "Lustiger Witwe" und Mozarts "Zauberflöte", das meistaufgeführte Bühnenwerk der Welt - nicht nur im Musiktheater, sondern in der Bühnenstatistik insgesamt. Der "Donauwalzer" steht dem heutigen CD-Käufer in 136 verschiedenen Versionen zur Verfügung - vergriffene CDs und Schallplattenaufnahmen nicht mitgerechnet.

Ein schier genzenloser Melodienreichtum, eine faszinierende Instrumentation und rhythmischer Elan machten aus Johann Strauß den "genialsten Komponisten, den die sogenannte Unterhaltungsmusik aufzuweisen hat" (Strauß-Biograph Norbert Linke). Auch die Komponisten-Kollegen vom ernsten Fach wußten Strauß zu schätzen, selbst wenn sie aus verfeindeten Lagern stammten: Giacomo Meyerbeer war von den Strauß-Walzern ebenso angetan wie Richard Wagner, Johannes Brahms zollte Strauß ebenso Tribut wie Anton Bruckner.

Heute fällt die Beurteilung unterschiedlicher aus: Während Strauß in seiner Heimat geradezu religiöse Verehrung widerfährt, wird er außerhalb der Grenzen Österreichs zum Teil weit unter seinem Wert gehandelt: "In Wien finden sie keinen einzigen Musiker, der nicht davon überzeugt ist, daß Johann Strauß in die erste Reihe gehört. Das wird überall sonst angezweifelt. Ich erinnere mich gut daran, als ich das erste Mal in Amsterdam Strauß dirigierte. Die Musiker waren entsetzt, daß ich, der Bach- und Mozart-Dirigent, so was überhaupt mache und sogar genauso ernsthaft proben wollte", erzählt Dirigent Nikolaus Harnoncourt in einem "Format"-Interview.

Johann Strauß Sohn setzte fort, was sein Vater begonnen hatte: Johann Strauß Vater, dessen 150. Todestag ebenfalls in diesem Jahr begangen wird, begründete den modernen Typus des Unterhaltungsmusik-Komponisten und Showdirigenten und verhalf, in fruchtbarer Konkurrenz mit Joseph Lanner, dem rhythmusbetonten Walzer zum Siegeszug.

Am 25. Oktober 1825 wurde Johann Strauß Sohn, genannt "Schani", geboren, zwei Jahre später sein Bruder Josef. Der vielbeschäftigte Vater Strauß kümmerte sich nur wenig um seine Familie und so entging ihm auch, daß Schani sich anschickte, in seine Fußstapfen zu treten. Zwar ließ er den Kindern Klavierunterricht geben, "aber er glaubte, wir klimperten eben so schlecht und recht wie Dilettanten", wie sich Schani später erinnerte. Bald lernte Schani auf eigene Faust Violine. Als der Vater dahinterkam, gab es Krach, denn er wollte vermeiden, daß aus seinen Kindern Berufsmusiker werden. Doch Schani ließ sich nicht beirren: Er nahm auch noch Kompositions-Unterricht.

Als der Vater 1843 seine Familie wegen einer anderen Frau verließ, blieb keine andere Wahl: Um das finanzielle Auskommen der Familie zu sichern, gründete Schani ein eigenes Orchester. Kurz vor seinem 19. Geburtstag debütierte er in Dommayer's Casino in Wien-Hietzing - mit großem Erfolg.

"Na so gehn'S halt und schreiben'S Walzer wie Ihr Vater. Dazu hätten's freilich keinen Kontrapunkt gebraucht", hatte ihn sein Kompositionslehrer verabschiedet. Schanis kompositorische Ausbildung war allerdings unzulänglich geblieben, doch gerade das machte ihn frei für neue Wege: Die klassischen Regeln der Kompositionskunst sind in seiner Musik entweder sehr frei gehandhabt oder überhaupt außer Kraft gesetzt. Ein "neuer Geist des bewußten Schöpfens aus dem Vollen", so Norbert Linke, hielt Einzug in die Welt der Musik.

"Jetzt will der Mistbub auch Walzer schreiben, wo er keinen Dunst davon hat", grollte der Vater, dem nun im eigenen Sohn der größte Konkurrent erwachsen war. Der Sohn kam besonders bei den Jungen und den Zuwanderern an, der Vater bediente das ältere, konservative Publikum. Im Revolutionsjahr 1848 huldigte der Vater mit dem "Radetzky-Marsch" dem kaisertreuen österreichischen Feldherren, während sein Sohn Stücke komponierte wie "Barrikaden-Lieder", "Revolutionsmarsch" oder "Studenten-Marsch".

Nach dem Tod des Vaters 1849 stieg Johann Strauß Sohn zum alleinigen Walzerkönig Wiens auf. Als er 1853 wegen einer schweren Erkrankung für Monate außer Gefecht gesetzt war, überredete er seinen Bruder Josef, den Beruf eines Ingenieurs - er hatte unter anderem eine Straßenreinigungsmaschine erfunden - aufzugeben und statt ihm das Strauß-Orchester zu dirigieren. Damit war die "Firma Strauß" geboren: Johann als künstlerisches, die Mutter als menschliches und organisatorisches Oberhaupt. 1862 kam noch der jüngste Bruder Eduard dazu, der von da an abwechselnd mit Josef das Orchester leitete. Im selben Jahr heiratete Johann Strauß Henriette Treffz, eine Sängerin mit sieben unehelichen Kindern, die seine Sekretärin, Buchhalterin, Tournee-Vorbereiterin, Notenkopiererin und Krankenpflegerin wurde.

Manche sagen, Josef sei in Wirklichkeit der begabtere Komponist gewesen. Eduard verdächtigte in seinen Memoiren Johann sogar, Melodien von Josef abgekupfert zu haben. Doch da der Jüngste aufgrund einer Abmachung mit seinen Brüdern 1907 das gesamte Notenmaterial des Strauß-Orchesters vernichten ließ, lassen sich solche Behauptungen nicht verifizieren. Fest steht, daß der Eintritt Josefs in die "Firma" eine Konkurrenzsituation entstehen ließ, die Johann zu immer weiteren künstlerischen Höhepunkten getrieben hat.

Die sechziger Jahre wurden zum Jahrzehnt der großen Walzer, die um die Welt gingen: "Morgenblätter" (1864), "Künstlerleben" (1867), "Unter Donner und Blitz", "G'schichten aus dem Wienerwald" (beide 1868) und natürlich "An der schönen blauen Donau" (1867). Für den "Donauwalzer" kreierte das "Neue Fremdenblatt" einen neuen Begriff: Schlager. Die Partitur verkaufte sich über einmillionmal. "Jeder Tag brachte Tausende von Bestellungen, und durch Wochen wurden Tag für Tag viele Kisten, gefüllt mit Exemplaren dieses Walzers, nach Amerika befördert", schrieb Ludwig Eisenberg, einer der ersten Strauß-Biographen.

Von 1856 an hatte Strauß regelmäßig in Rußland gastiert, womit er das Fundament für seinen Reichtum gelegt hatte. Der Höhepunkt seiner Reisetätigkeit war aber wohl das Konzert anläßlich des Bostoner Weltfriedensfestes 1872. Das astronomische Honorar von 100.000 Dollar vertrieb alle anfänglichen Zweifel ("Und wann mi Ihrere Indianer massakrieren...??"). Nach eigenen Angaben hatte Strauß vor 100.000 Zusehern ein 1000-Mann-Orchester und 20.000 Sänger zu dirigieren - mit Hilfe von 100 Subdirigenten. Da sind die Drei Tenöre nichts dagegen ...

1870 war das große Todesjahr der Strauß-Familie: Die Mutter, Bruder Josef und die geliebte Tante "Pepi" Wagner starben. Eduard übernahm als alleiniger Leiter das Strauß-Orchester. Johann Strauß, angetrieben von seiner Frau, nutzte die schicksalhafte Zäsur und widmete sich einem neuen Gebiet: der Operette. (Das Österreichische Theatermuseum am Wiener Lobkowitzplatz widmet sich bis 28. November mit der tadelnswerterweise kataloglosen Ausstellung "Wiener Blut - Johann Strauß und die Goldene Ära der Operette" diesem Teil des Strauß'schen Schaffens) Strauß' erste Operette "Indigo und die vierzig Räuber" wurde ein Riesenerfolg. Der berüchtigte Musikkritiker Eduard Hanslick bescheinigte Strauß ein "Aufsteigen zu einem höheren, viel anspruchsvolleren Kunstgebiete". Trotzdem fanden nur vier seiner 15 Operetten den Eingang ins Repertoire: "Die Fledermaus" (1874), die wienerischste aller Operetten, der Höhepunkt des gesamten Genres ("Sein Talent ist beschränkt und seine Musik eine musichetta", urteilte der aufgeblasene Kritiker der "Neuen Freien Presse"...); "Wiener Blut", eine posthume Ausschlachtung beliebter Strauß-Melodien; "Eine Nacht in Venedig" (1883), der anfangs wenig Erfolg beschieden war; und schließlich "Der Zigeunerbaron" (1885), ein Meisterwerk, das sofort die Herzen des Publikums eroberte. Andere Operetten bleiben zu entdecken: "Der Lustige Krieg" (1881), der damals als Meisterwerk galt und binnen kürzester Zeit weltweit über 130 (!) Bühnen eroberte und "Carneval in Rom" (1873), eigentlich eine Spieloper, das vielleicht kunstvollste Bühnenwerk von Strauß. Die größten Operetten-Reinfälle erlebte Strauß mit "Blindekuh" (1878) und "Simplicius" (1887).

Ein lange gehegter Wunsch war es, eine Oper zu schreiben. Fast vier Jahre mühte sich Strauß mit "Ritter Pasman" ab: Immer wieder fuhr ihm "wie ein Blitz durch den Schädel ein Hauer von einem Walzer ... Saukerl, dich kann ich jetzt nicht brauchen - verschwind", klagte er in einem Brief. Am Ende der handschriftlichen Fassung notiert er: "Gott sei Dank. Eine Sauarbeit gewesen". Als Opernkomponist hielt Strauß es mit Wagner, dessen Wirken er zeitlebens mit Interesse verfolgt hat; er dirigierte sogar die Uraufführungen erster Ausschnitte aus Wagners "Tristan" beziehungsweise den "Meistersingern". Doch er hatte weniger Erfolg als sein großes Vorbild: "Ritter Pasman" fiel 1892 durch.

Elf Tage nach der Uraufführung des "Zigeunerbarons" beantragte Strauß den "unbedingten Austritt aus dem österreichischen Staatsverbande" und wurde schließlich zwei Jahre später Bürger des Deutschen Reiches - ein in Österreich gerne verschwiegenes Faktum. Der Grund waren die strengen Ehegesetze der k. u. k. Monarchie: Kurz nach dem Tod Henriettes 1878 hatte Strauß seine zweite, um 24 Jahre jüngere Frau Lily geheiratet, doch das Eheglück war nur von kurzer Dauer: nach vier Jahren kam es zur Scheidung. Um seine dritte Frau Adele heiraten zu können, mußte er sowohl Staatsbürgerschaft, als auch das Religionsbekenntnis wechseln (Siehe Furche 19/1999, Seite 24).

Zusehends bereitete ihm das Komponieren Mühe, die Arbeit an seinem letzten Meisterwalzer "Seid umschlungen, Millionen" (1892) empfand er als Martyrium. "Ich schmiere schon wieder an einer Operette herum, aber es kommt mir schwer an, mich wieder an die gemeine Dudelei gewöhnen zu können... es wird ein wahrer Schund werden", klagte er, als er an "Fürstin Ninetta" (1893) arbeitete. Trotzdem wurde diese und seine drei anderen Altersoperetten Achtungserfolge. Spät, aber doch mußte Johann Strauß das Sinken seines Sternes miterleben. Wenngleich noch niemandem bewußt war, daß die Tonalität in der ernsten Musik ausgereizt war, so spürte Strauß zumindest, wie die Faszination des Walzers nachließ: "Das alte Wien ist nicht mehr, die Jugend von heute hat ein ganz anderes Unterhaltungsbedürfnis und auch einen anderen Tanzgeschmack als zu meiner Zeit."

Das neue Jahrhundert durfte Strauß nicht mehr erleben: Am 3. Juni 1899 starb er in den Armen seiner Frau.

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