Vom Warten auf den Heiligen Geist

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Die Furche Herausgeber

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Mariazell oder Wien – Kongress der österreichischen Pfarrgemeinderäte oder Europäische Imame-Konferenz? Am vergangenen Wochenende habe ich mich für die Muslime entschieden. Zwei Tage des Eintauchens in eine andere Welt – und doch vielfach erstaunlich nahe. Der Koran lieferte das Tagungsmotto: „So haben wir euch zu einer Gemeinschaft der Mitte gemacht“ – wäre das nicht auch ein Hoffnungsbild für unsere eigene, zwischen Frustration und Aufbruch hin- und hergerissene Kirche?

Hinaus aus der Selbstisolierung

Viele Kernbotschaften in den Diskussionen der angereisten „Imame und SeelsorgerInnen“ aus 40 Ländern hätten – bei aller inhaltlichen Differenz – wortgleich auch in Mariazell gesprochen werden können. Etwa: „Wir sollten vieles rasch revidieren und neu definieren.“ Oder: „Wir können die Erneuerung unseres theologischen Denkens nicht nur den Experten überlassen.“ Oder: „Wir müssen aus der Selbstisolierung und aus manchem Sektierertum hinauskommen.“

Beeindruckend, mit welchem Eifer jetzt auch die etablierte Führung des europäischen Islam darum ringt, ihr Glaubensgut als pluralismus- und demokratiekonform auszudeuten – und noch bestehenden Widersprüchen ihre Schärfe zu nehmen. Und das unter enormem Zeitdruck – und im scharfen Gegenwind der Mehrheitsgesellschaften: 71 Prozent (!) der Österreicher halten – laut jüngster IMAS-Umfrage – den Islam heute für unvereinbar mit Demokratie, Freiheit und Toleranz. Und genau zur Wiener Konferenz erschien die rechtskonservative Schweizer Weltwoche gar mit der Schlagzeile „Muss der Islam verboten werden?“. Denn: Minarett- und Burqa-Verbot seien nur Ersatzhandlungen. Wenn schon verbieten, dann gleich den ganzen Islam.

„Die Zündler sind am Werk“, sagte Anas Schakfeh, der scheidende Präsident der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich, bei der Konferenzeröffnung im Außenministerium – brisanterweise unter einem Schlachtengemälde der Türkenbelagerung. Und fand erwartungsgemäß starke Zustimmung – nicht nur bei den anwesenden Muslimen.

In diesen Stunden war wieder einmal spürbar: Den Dialog mit dem Islam führen – nicht nur hierzulande – noch immer nur jene, die gar keinen Dialog bräuchten. Die um die Sorgen und Zwänge des jeweils anderen und um ihre Schicksalsgemeinschaft wissen. Die auch erkannt haben, dass Christen und Muslime im Zeichen wachsender Gottlosigkeit und Beliebigkeit weit mehr gemeinsam haben, als uns der Zeitgeist und die gängigen Stereotypen vorgaukeln.

Kein Heilmittel gegen die Angst

Nie aber finden die Wortführer jener Mehrheiten (auf beiden Seiten?) zum Dialog, die einander nach wie vor zutiefst misstrauen. „Solange sich Menschen voreinander fürchten, gibt es kein Wir“, sagte da einer bei der Imame-Konferenz prophetisch. Freilich: Wer kennt schon ein Heilmittel gegen die Angst? Auf dem Heimweg habe ich mir gedacht: Pfingsten steht vor der Tür – und irgendwie spüren wir gerade jetzt, dass wir die Herabkunft des Heiligen Geistes dringend bräuchten. Gerade in der eigenen Kirche – und zwischen unseren Religionen.

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