Vom Wissen zum Glauben

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Vernünftigkeit des Glaubens

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Vernünftigkeit des Glaubens

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Zwischen 1774 und 1778 veröffentlichte Gotthold Ephraim Lessing in seinen "Fragmenten des Wolfenbüttelschen Ungenannten“ die grundlegende Einsicht der Aufklärung: Vernunftwahrheiten können nicht von zufälligen Geschichtswahrheiten abhängig gemacht werden. Diese auf Hermann Samuel Reimarus zurückgehende Aussage löste mit seiner radikalen Bibelkritik und der Infragestellung von Wundern den Fragmentenstreit aus, die entscheidende theologische Auseinandersetzung des 18. Jahrhunderts. Lessing wurde mit einem theologischen Publikationsverbot belegt. Mit dem Drama "Nathan der Weise“ äußert er sich mit literarischen Mitteln weiter.

Reimarus und Lessing eröffneten die Möglichkeit, zwischen dem Buchstaben der Bibel und ihrem Geist zu unterscheiden. So gebe es einen tiefgreifenden Unterschied zwischen dem, wer Jesus wirklich war, und dem, was seine Jünger über ihn verkündeten. Mit der Ringparabel ließ Lessings "Nathan“ 1779 die Frage offen, ob die einzelnen religiösen Ausprägungen durch einen allgemeinen Humanismus abgelöst würden.

Besonders interessant war dabei die Frage: Wie sollte das Christentum mit Bibelkritik, Ablehnung der Dreieinigkeit und Leugnung der göttlichen Natur Jesu fertig werden und ertragen können, dass das Judentum längst dort stand, wo man hinstrebte?

Was für das Christentum zum Problem wurde, öffnete das Tor zur jüdischen Emanzipation des 19. Jahrhunderts und dem, was Hermann Cohen 1919 die "Religion der Vernunft aus den Quellen des Judentums“ nennen konnte. Rabbiner Abraham Geiger hatte das Judentum 80 Jahre zuvor auf den Nenner gebracht: "Durch die Erforschung des Einzelnen zur Erkenntnis des Allgemeinen, durch Kenntnis der Vergangenheit zum Verständnis der Gegenwart, durch Wissen zum Glauben.“

* Der Autor, Rabbiner, leitet das Abraham-Geiger-Kolleg in Berlin

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