Von der Brutalität der ungeschminkten Wahrheit

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Kurzer Applaus, Buhs für die Regie. Dies ändert nichts an den starken Eindrücken, welche die Erstaufführung von Janáˇceks "Aus einem Totenhaus“ an der Wiener Staatsoper hinterließ.

"Warum begebe ich mich zusammen mit dem Dichter von Verbrechen und Strafe in die düsteren, eisigen Zellen der Kriminellen? In die Gedanken der Kriminellen, und dort finde ich einen Funken Gottes. Ihre Verbrechen lassen sich nicht von der Stirn wischen, aber ebenso wird man auch nicht den Funken Gottes auslöschen können. In welche Tiefen das führt - wieviel Wahrheit es in seinem Werk gibt“, liest man in der letzten Notiz von Leoˇs Janáˇcek, die er knapp vor seinem Tod in der Klinik von Ostrava verfasste.

Auf den ersten Blick unzusammenhängende Episoden aus Dostojewskijs "Aufzeichnungen aus einem toten Hause“ sind es, die, gegenüber dem Original leicht verändert, Janáˇcek zum Libretto für seine letzte Oper auswählte. Erzählungen von Sträflingen, Begebenheiten aus ihrem Alltag, eingebettet in eine Rahmenhandlung, die Aufnahme eines Adeligen, Alexander Petrowitsch Gorjantschikow, der wegen eines nie näher genannten politischen Verbrechens inhaftiert wird und am Ende als Einziger auf Grund der Intervention seiner Mutter wieder freigelassen wird.

Sibirien im Loft

Im Original spielt der Dreiakter in einem sibirischen Straflager Mitte des 19. Jahrhunderts, damit ein Dreivierteljahrhundert vor der Entstehung des Werks, das erst nach dem Tod des Komponisten, 1930 am Nationaltheater Brünn, uraufgeführt wurde. Allerdings in einer gegenüber dem Original beschönigenden Version. Wegen der bewusst kargen Instrumentierung hielt der Dirigent der Uraufführung, Bˇretislav Bakala, die Oper für unvollständig, tat sich mit einem weiteren Janáˇcek-Schüler, Osvald Chlubna, zusammen und schrieb über Wunsch des Uraufführungsregisseurs Ota Zítek das Finale zu einer Apotheose für die Freiheit um.

Nichts davon im Wiener Haus am Ring, in dieser Koproduktion mit der Zürcher Oper, an der diese - dort von Ingo Metzmacher dirigierte - Inszenierung bereits zu sehen war und zwiespältig aufgenommen wurde. Schließlich hat Regisseur Peter Konwitschny, stets gut für unkonventionelle Sichten, den Schauplatz weg von einem Gefängnis in den hell erleuchteten 44. Stock eines Lofts (Ausstattung: Johannes Leiacker) verlegt und die Gefangenen in eine Mafia-Partie - anfangs in Smoking, später in Gefangenenjacken - umgedeutet. Auch wenn die Regie nicht weiter erklärt, warum es gerade dieser Ort sein muss - das bewusste Abgehen vom Original macht Sinn. Schließlich sind die Sträflinge, ihre Schicksale, Sorgen, Hoffnungen, ihre Träume von einem anderen, besseren Leben, die bald harter Realität weichen müssen, nur eine Metapher für das Phänomen einer geschlossenen Gesellschaft. Ein solcher Spiegel, wie er in diesem Janáˇcek vorgehalten wird, wirkt umso eindringlicher, geschieht dies mit unmittelbar betreffenden, heutigen Bildern.

Solches verstört. Nicht immer ist Wahrheit bequem. Schon gar nicht, wenn eine solche Szenerie, in der die Personen mit bestrickender Selbstverständlichkeit agieren, unvermittelt zu Assoziationen mit aktuellen Geschehnissen führt. Schließlich ist auch Janáˇceks Musik, spielt man sie - wie an der Wiener Staatsoper - im Original, von einer Heftigkeit, die nicht kalt lassen kann, illustriert mit ausgeklügelter Kargheit die Attacken, denen die Gefangenen oft unvermutet ausgesetzt sind, lässt keinen Zweifel, dass Menschen, die sich in einer solchen Situation befinden, kaum auf Hilfe von außen hoffen, geschweige denn eine solche erwarten können.

Kahlheit der Partitur

Franz Welser-Möst, der damit seinen in der vergangenen Saison mit "Kátja Kabanová“ begonnenen Janáˇcek-Zyklus fortführt, setzt bei seinem Dirigat entsprechend auf die Schärfen der immer wieder von dissonanten Sekundreibungen bestimmten Musik, die mit Zitaten aus der "Glagolitischen Messe“ und gleich zu Beginn - dieser geriet bei der Premiere etwas zu zügig und lautstark - mit Passagen aufwartet, die auch im schließlich unvollendet gebliebenen Violinkonzert mit dem Titel "Seelenwanderung“ Verwendung fanden. Exzellent, wie das Staatsopernorchester dieses ganz auf die Kahlheit der Partitur zielende Konzept durchsetzte.

Und bestens aufeinander eingestimmt die hier zu einem Ensemble verbundenen Solisten - voran Staatsoperndebütant Christopher Maltman als berührender Siskov, Misha Didyk als prägnanter Luka, Herbert Lippert als brillanter Skuratov, Sorin Coliban als gedemütigter, zuweilen an der Hundeleine geführter Adeliger, Alexandru Moisiuc als brutaler Kommandant.

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