Von der Einsamkeit der Wüsten und der Städte

Werbung
Werbung
Werbung

Die Fotografien von Wim Wenders verweigern sich jeder Geschwätzigkeit.

Den verwilderten Garten der verlassenen Farm mit dem eingezäunten Tennisplatz, den Tennisplatz, aus dessen rotem Aschenboden Birken wuchsen, den Schiedsrichterstuhl, auf dem Vögel nisteten, hat Wim Wenders nicht fotografiert. Fotografiert hat er die steinige Piste, die zur verlassenen Farm in West-Australien führte. Auf viereinhalb Meter Länge ließ der deutsche Filmregisseur das Negativ seiner alten Panoramakamera vergrößern, ein Feldweg ins Nichts, vom Vordergrund bis zum Horizont braunes, steiniges Nichts unter dünnen Wolkenschleiern. Wenn dieses Bild eine Geschichte zu erzählen hat, dann höchstens die, dass irgendwann, vielleicht vor Monaten, jemand von dieser Straße abwich. Warum, wohin, verraten die Reifenspuren nicht.

Das Bild ist typisch für die Einstellung des Fotografen Wim Wenders, dessen Werke zwar an die Filme des gleichnamigen Regisseurs erinnern, manchmal aber von einem ganz anderen Menschen zu stammen scheinen. Einstellung ist zwar mit seiner doppelten Bedeutung ein Schlüsselwort Wenders' und wird auch von Peter-Klaus Schuster fleißig als Brücke zwischen fotografischem und filmischem Werk benützt. Gerade deshalb erscheint es angezeigt, zu betonen, was die beiden nicht gemeinsam haben: Wim Wenders' Fotografien erzählen allen anders lautenden Behauptungen zum Trotz eben keine Geschichten, auch wenn viele davon im Vorfeld seiner Filme und auf der Suche nach Geschichten entstanden sind. Es sind Bilder, die schweigen, und gerade weil sie jede Geschichte schuldig bleiben, kann sich jeder jede Geschichte dazu denken. Geschwätzigkeit ist ihnen fremd. Dies ist das Geheimnis ihrer unmittelbaren, emotionalen Wirkung.

Auch das Bild einer seit Jahren verlassenen amerikanischen Hotelhalle (Foto im Text), die einmal bessere Tage gesehen hat, lässt, erhaben über jede Geschichte, jede Menge Geschichten zu. Bei Wenders' Lieblingsmaler Edward Hopper kommen zwar stets Menschen vor, deren Geschichten können wir aber bestenfalls ahnen. Wenders braucht die Menschen nicht auch noch zu fotografieren, er erzählt in seinen Filmen genug über sie. Die Sessel im Hotel "schienen uns nicht sonderlich zu vermissen, sondern waren untereinander ins Gespräch vertieft." Womit er einen Zipfel seiner Einstellung zum Eigenleben aller großen Geschichten preisgibt. Auch die letzten russischen Soldaten auf dem Alexanderplatz "sahen so verloren aus in ihren kratzigen Mänteln, völlig aus aller Zeit herausgerissen" und haben etwas von den verlorenen Sesseln in der Hotelhalle.

Der bekennende Großstädter Wenders fand den Gegenpol der Stadt in den Wüsten - und die Wüste in der Stadt. Etwas "auszusagen" haben viele. Wenders aber gewinnt der Leere einsamer Landschaften, der Verlassenheit und dem Verfall der Großstädte, etwa Havanas, Schönheit ab. Wie er es sagt, ist es. Was er sagen will, bleibt dabei nicht auf der Strecke, doch nichts wird vordergründig gesagt.

Natürlich haben der Regisseur und der Fotograf viel gemeinsam. Zum Beispiel kennt niemand so gut wie einer vom Film die Bedeutung der großen Fläche für die Wirkung der großen Bilder. Wenige Fotografen setzen so konsequent auf das gewaltige Format, weshalb er seine "Bilder von der Oberfläche der Erde" in der Hamburger Bahnhofshalle zeigte. Auch das Bild am Fuß dieser Seite wurde in Hamburg als Viereinhalb-Meter-Abzug ausgestellt, jenes am Kopf der Seite nur auf 2,40 m. Doch anders als Wenders' Filme, die im Fernsehen nur noch als Schatten ihrer selbst ankommen, transportiert der Bildband ohne Abstriche ihre Wirkung. Denn so großformatig und zum Teil ausklappbar auf solchem Papier, so scharf und so farbtief gedruckt, zerfließen sie nicht in Bildpunkte, wenn man sich ihnen nähert, um in sie einzutauchen, und gewinnen beindruckende Panoramawirkung.

BILDER VON DER OBERFLÄCHE DER ERDE. Photographien von Wim Wenders. Texte: Peter-Klaus Schuster, Nicole Hatje. Schirmer/Mosel Verlag, München 2001. 124 Seiten, 99 Farbbilder, davon 50 z.T. doppelseitige Tafeln, geb., e 41,35/öS 569,-

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung