Von der Investition in ein System der Sinngebung

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Stiftet die Verbindung von Kunst und Markt mehr Nutzen oder Schaden für die Kunst? Die Wiener Vorlesungen initiierten eine in Venedig geführte Debatte von Kunsthistorikern und Galeristen. Der Gewinner stand rasch fest.

Kunst und Markt: Die Wiener Vorlesungen luden gemeinam mit der von dem Künstler Wolf Werdigier gestalteten Sommerakademie in Venedig in den Palazzo Zenobio, den größten Barockpalazzo, zur Kunstdebatte. Und schnell war klar: Auch wenn Kunst gerne als Refugium vor der ökonomisierten Welt begriffen wird, so ist sie, wie jede Ware, den Mechanismen von Angebot und Nachfrage ausgesetzt. Es geht eben doch ums Geschäft.

Zum Marktwert komme jedoch das materiell nicht messbare symbolische Kapital, räumt Kunstwissenschafter Wyss ein. Das Geld kopple sich ja ökonomisch von Wertfragen ab. Es gebe keine Antwort auf die Fragen, woher der Mensch komme, wohin er gehe. In einem Kunstwerk stecke hingegen eine spirituelle Dimension. Geld erleichtere das Leben, Kunst verzaubere es. Erst wenn Geld für Sinngebendes ausgegeben werde, erfülle es seinen Zweck. Trotz der Krise, so Wyss, konnten sich etliche diesen Luxus leisten, in dieses ältere Wertsystem der Sinngebung zu investieren.

Nur verkaufte Kunst ist gut

Einige der von Wien angereisten Künstler und Zuhörer empfanden den Satz des Galeristen Harry Lybke, nur verkaufte Kunst sei gute Kunst, als zynisch. Doch selbst Kunsthistoriker Beat Wyss räumte ein, zunehmend würden kommerzielle Kräfte definieren, was Kunst sei und was als solche gelte.

Welche Kunst gefördert und wie sie vermarktet wird, bestimmen nicht mehr staatliche Museen, denn dazu fehlt ihnen das Geld. Es sind vielmehr die Galeristen, Anleger, Oligarchen, Immobilientycoons und Investmentbanker sowie die weltgrößten Auktionshäuser Christie’s und Sotheby’s, die den Ton angeben. Sie beherrschen 90 Prozent des globalen Auktionshandels. Kunst ist eine Ware und der Kunsthandel ein Geschäft.

Der britische Künstler Damien Hirst hat 2008 dieses für sich genutzt, den Kunsthandel umgangen und an den ihn vertretenden Galerien vorbei dem Aukionshaus Sotheby’s 223 Arbeiten aus einem Jahr um 140 Millionen Euro verkauft. Das System ist durch diese absurd anmutende Ausverkaufssituation nicht eingestürzt. Hirst ist es lediglich gelungen, den Kunstmarkt subversiv zu umgehen und damit für kurze Zeit den Kunsthype, die nicht endenwollende Preisspirale außer Kraft zu setzen. Die Aktion hat Hirst viel Geld gebracht und er gilt seither als Inbegriff des aus den Ketten des Marktes befreiten Künstlers. Hieß es bei Beuys, jeder Mensch ist Künstler, lautet die Devise bei Hirst: Die Kunst bin ich.

Letztlich gehe es nicht um Werke, sondern um den Künstler selbst, um seine Unsterblichkeit, verweist Lybke auf den ersten Kunsthistoriker, den 1511 in Arezzo geborenen Hofmaler der Medici und Biograf von Leonardo da Vinci, Raffael, Michelangelo und Giotto Giorgio Vasari. Dieser wusste, dass die Kunstwerke vergänglich seien, der Ruhm des Künstlers bleibe. „Wer als Künstler am Morgen aufsteht und nicht unsterblich werden will, den vertrete ich nicht“, sagt Lybke, der seine Aussagen gerne zuspitzt.

Um unsterblich zu werden, müsse sich der Künstler als Individuum inszenieren. Denn der Künstler, bestätigt auch Wyss, will sich in der Welt einschreiben und dauerhaft im Gedächtnis bleiben. Der erste Künstlerstar, der sich zu inszenieren verstand, war Giotto di Bondone, geb. 1266 bei Florenz. Selbst seine Heiligendarstellungen wurden weltlicher und individueller. Als Vorläufer von Hirst könnte, so Wyss, Rembrandt gelten: Er habe dem Markt den Preis diktiert, indem er seine Werke teuer zurückgekauft habe, um die Preise hochzuschrauben. Lybke dazu: Der Preis habe eben nichts mit Qualität zu tun, er definiere nur das Verhältnis zum Markt.

Die Verbindung von Ökonomie, sprich von Markt und Kunst, ist nicht neu. Die Kunst wurde stets von wirtschaftlichen Gegebenheiten beeinflusst. Der Aufstieg der niederländischen Malerei wurde durch die Aufträge reicher Bürger beschleunigt. Der Wohlstand während dieses Goldenen Zeitalters, das zeigte der amerikanische Ökonom und Kunsthistoriker Michael Montias auf, führte zu einem lässigeren Malstil, weil die explodierende Nachfrage die Künstler zu rascherer Produktion zwang.

Keine Kunst ohne Markt

Geht es nach dem deutschen Historiker Michael North, zeitigt sogar die Wissenserosion der Kunstkäufer bittere Folgen: nämlich den Verlust von Inhaltlichkeit. Künstler und Käufer beeinflussen sich gegenseitig. Es gebe keine Kunst ohne Markt, ist Beat Wyss überzeugt. Jedenfalls nicht im westlichen Kunstsystem, das auf vier Tugenden basiere: dem Kult des Individuums, der Wertschätzung der Arbeit, der Herstellung einer Öffentlichkeit (Habermas) und der Wertschätzung des Neuen. Van Gogh hatte keinen Markt, ergo keine Wertschätzung. Die Geburt des Individuums aus dem Geist des Marktes? Ist das so simpel? Beat Wyss: „Der westliche Künstler ist nur denkbar, weil er wertgeschätzt wird. Obwohl er sich die Hände schmutzig macht.“ Früher galten Kunst und Ökonomie als separate Wertsysteme: geistige Werte versus monetärer Wohlstand. Heute verleugnen Künstler wie Andy Warhol jeglichen Unterschied zwischen Künstler und Unternehmer, zwischen Kunstwerk und Konsumartikel. „Good business“, so Warhols Glaubenssatz, „is the best art.“ So viel Desillusionierung schreit nach Trost.

„Wenn ihr gut seid“, verspricht Lybke daher den anwesenden Künstlern, „werdet ihr auch gefunden. Der Markt ist zu hungrig.“ Und: „Ich bin ja immer auf der Suche nach Geld. Ich sammle ja keine Kunst, sondern sammle Geld. Das ist kein Witz.“ Lybkes abschliessende Provokation: „Wenn ihr von mir als Galerist, als Vermittler zum Markt, vertreten werdet, dann würde euch das sogar gefallen.“ Lybke ist der umsatzstärkste deutsche Galerist.

* Die Autorin ist Journalistin und Moderatorin

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