Von der Klofrau bis zu den Stars des Hauses am Ring

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"Die Burg": Der österreichische Dokumentarfilmer Hans Andreas Guttner setzt der ehrwürdigen Kulturinstitution Burgtheater ein heutiges filmisches Denkmal.

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"Die Burg": Der österreichische Dokumentarfilmer Hans Andreas Guttner setzt der ehrwürdigen Kulturinstitution Burgtheater ein heutiges filmisches Denkmal.

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fener Baptistenprediger. Als ein Kommilitone Jared beim Vater anschwärzt, der mittlerweile 19-jährige College-Student sei schwul, outet sich Jared -aber der Vater verlangt von ihm, dass er eine zwölftägige Umerziehung beginnt: Sonst dürfe der Sohn nicht mehr mit ihm unter einem Dach leben.

Die Mutter bringt Jared ins Camp des Victor Sykes; mit wenigen Strichen und noch weniger Effekthascherei stellt Edgerton dar, wie es in dieser Gruppe zugeht: Sie sind alle Sünder, und Reverend Sykes ist dazu da, sie von der Sünde zu heilen. Junge und ältere Homosexuelle, Männer wie Frauen finden sich da zusammen, ein rigides Regime, das die "Sünder" durch Gesprächs-"Therapie" und Kontaktsperre nach außen auf einen "rechten" Weg zu bringen sucht.

Der Vater von Jared wird aber nicht als monströs geschildert, und die Mutter scheint an der Seite des Sohnes zu stehen, kann sich aber schwer eingestehen, wie falsch der Konversionsweg ist. Und Jared muss lernen, seinen Weg zu gehen und sozusagen seine eigene Familie seinerseits zu "therapieren": Denn, man ahnt es bald, nicht Jared bedarf der Konversion, sondern sein Vater, der sich die Frage stellen muss, ob er den Sohn so nehmen kann, wie er ist. In großartiger Weise geht der Film daran, diese Prozesse glaubhaft zu machen.

Ein grandios agierendes Ensemble

Dass Joel Edgerton dies gelingt, verdankt er zu einem Gutteil seiner Starriege, die er in "Boy Erased" versammeln konnte. Besonders beeindruckend ist die zurückhaltende Darstellung des Jared durch Hollywoods Rising Star Lucas Hedges, der nur wenige Wochen nach dem Mutter-und-Junkie-Melodram "Ben is Back"(FURCHE 1/2019) erneut zeigt, dass er längst in der ersten Riege Hollywoods angekommen ist. Ihm ebenbürtig kämpft Russell Crowe in der Rolle des Vaters um Konversion im Wortsinn. Und gleichfalls nur als grandios ist Nicole Kidmans Performance in der Rolle der Mutter von Jared zu bezeichnen, die in Mimik und Gestik früh klar macht, auf wessen Seite sie eigentlich steht. Auch Edgertons eigene Darstellung des verqueren "Therapeuten" Sykes passt sich stimmig ins zurückgenommene Bild einer gesellschaftlichen Verirrung, als die dieser Zugang zur Homosexualität zweifelsohne zu qualifizieren ist.

Der verlorene Sohn (Boy Erased) USA 2018. Regie: Joel Edgerton. Mit Lucas Hedges, Russell Crowe, Nicole Kidman, Joel Edgerton. Universal. 115 Min. Ab 21.2.

Quasi als Aperçu können die kleinen Auftritte des frankokanadischen Jungstars Xavier Dolan und des YouTubers Troye Sivan als Jareds Schicksalsgenossen gelten, die diese mutige, weil überhaupt nicht plakative Auseinandersetzung mit dem schwierigen Thema stimmig abrunden.

Vor zwei Jahren machte der Dokumentarfilmer Hans Andreas Guttner mit dem einfühlsamen Porträt seines Bruders, eines Kärntner Landarztes ("Bei Tag und bei Nacht", 2016), klar, dass er zu den Meistern seiner Zunft gehört. Nun kommt des Regisseurs neuestes Opus ins Kino -und diesmal hat er sich einer österreichischen Institution par excellence an-

genommen: In "Die Burg" porträtiert er den Kosmos des Theaterhauses am Ring, und er schließt in der Zugangsweise an Johannes Holzhausens Hommage ans Kunsthistorische Museum ("Das große Museum", 2014) an, das auch als grandiose Erzählung über den Kosmos einer Kulturinstitution konzipiert war. Ja, man kann auch die stilbildenden Werke des Dokumentarfilm-Altvorderen Frederick Wiseman in den Blick nehmen, der zuletzt die New York Public Library ("Ex Libris", 2017) leinwand-und abendfüllend porträtierte.

Hans Andreas Guttner braucht diese Vergleiche nicht zu scheuen. Und das Publikum darf sich in "Die Burg" auf Einblicke freuen, die dem Laien von draußen sonst wenig möglich sind. Aber auch für die Menschen im Burgtheater-Kosmos bedeutete die Filmerei ein Abenteuer: Man habe sich mit Guttner und dem Dokumentarfilm auf "ein für uns bisher völlig unbekanntes Terrain" gewagt, meint etwa Burgtheater-Prinzipalin Karin Bergmann: "Unser Theater, das in langen Produktionsprozessen die größtmögliche Perfektion anstrebt, bevor es sich dem Publikum zeigt, wurde für zwei Monate zum ,Freiwild' für das Kameraauge, offen, ungeschützt, ungeprobt ..."

Dass ein Theaterabend erst den Kulminationspunkt eines langen Prozesses darstellt, der viel mehr Menschen einschließt als die auf der Bühne sichtbaren Schauspieler, ist in der Theorie hinlänglich bekannt. Es gelingt Guttner in "Die Burg dieses Wissen subtil wie eindrucksvoll zu illustrieren. Von der Klofrau (die sich als gewesene Striptease-Tänzerin entpuppt) bis zu den Stars des Hauses wie Nicholas Ofczarek reicht der Reigen der Personen, die in Wort und Bild zur Sprache kommen. Die Kamera besucht Probensituationen und scheint in jeden Winkel des verzweigten Gebäudes vorzudringen.

Neben Schauspieler(inne)n, Regisseuren, Autoren, Komponisten, Bühnen-, Kostüm-und Maskenbildner(inne)n, Bühnenarbeitern und -technikern, Lichtdesignern, Toningenieuren und Billeteuren kommen mehr oder weniger alle Berufsgruppen des Hauses auch im Film vor.

Formal entwickelt Guttner seine "Erzählung" übers Haus am Ring entlang des Werdens der Produktion des Stücks "Geächtet" von Ayad Akhtar -von der Leseprobe bis zur Premiere. Und dabei wird auch plastisch, wie sehr das Erfolgserlebnis eine Tochter der Zeit ist, bzw. wie unendlich kurz die Momente der Erfüllung von auch scheinbar erfüllenden Berufen sein können. Burg-Star Nicholas Ofczarek bringt dies im Film in Bezug aufs Schauspielersein so auf den Punkt: "Das ist ein relativ harter Beruf, der wunderschön sein kann, selten, und wenn, dann will man in diesen Zustand wieder gelangen, weil es halt so schön ist. Es ist halt nur sehr selten so."

Allein wegen Sätzen wie diesem zahlt es sich aus, in "Die Burg" zu gehen.

Die Burg A 2019. Regie: Hans Andreas Guttner. Polyfilm. 95 Min.

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