Von der Rente und von der Ernte

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Es steht der Deutsch-Stunde nicht an, sich in das politische Geschäft zu mischen. Doch sei einmal darüber nachgedacht, welche Wertverschiebung sich durch die Vertauschung einiger Buchstaben ergeben kann. Vor nicht allzu langer Zeit war der Begriff des Rentiers etwas durchaus Anzustrebendes. Von der Karikatur unterhalb der Reizschwelle des bösen Kapitalisten angesiedelt, schnitt der Rentier vergnügt seine Coupons, sog an seinem Zigarrl, ließ sich als Hausherr grüßen, wusste dass das, was er veranlagt hatte, genügend Zinsen abwerfen würde, ihm den Lebensabend zu übersonnen und auch noch Platz für allerlei Erbschaftsspekulationen zu lassen.

Die heute weit verbreitete Assoziation mit Rentier ist wohl nur noch die mit Rudolph und der roten Nase, der Kragenpelz des Rentier-Mantels ist durch das wärmende Fell des treuen Santa-Begleiters ersetzt. Im Jedermann’schen Sinn der zoologisch Arme Vetter des Rentiers ist der arme Hund. Also der Rentner. Und erst recht die Rentnerin.

Verlust von Vertrauen - Verlust von Begriffen

Ein (etymo)logischer Ahnherr der Rente ist die Ernte. Ernte als das Einfahren in die Scheune all dessen, was mit Vorausschau und Bedacht gesammelt, gesät, gepflegt und gehütet wird, um die guten und die schlechten Zeiten nicht allzu sehr auseinanderfallen zu lassen. Um vorzusorgen und Sicherheit zu schaffen. So ist es nur ein simples Anagramm, einmal die Buchstaben geschüttelt, und schon zeigt sich der Zusammenhang zwischen den Begriffen.

Es geht um den handfesten Schwund von Vertrauen, der sich im Verlust von Begriffen abbildet. Verlässlichkeit war einmal eine Kardinaltugend, die Basis für generationenübergreifende Lebensplanung, was davon bleibt, dient als Spielanleitung für eine neue Computersimulation. Worte werden so lange durchgeschüttelt, bis neue Werte herauskommen. Dabei bleibt nicht nur der Sinn auf der Strecke, sondern auch der Inhalt. Es ist ein trauriges Spiel auf Zeit, und zum Ende wird aus einem Wortspiel bitterer Ernst. Der Rentier schneidet die Coupons im Coupé der Erinnerung. Dem Rudolph bleibt wenigstens das wärmende Fell. Der Rentnerin leider nix.

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