Von der Spitze gefallen

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Nicht wiederzuerkennen ist das Ballett "Der Nussknacker" an der Wiener Staatsoper.

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Nicht wiederzuerkennen ist das Ballett "Der Nussknacker" an der Wiener Staatsoper.

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Die vorweihnachtliche Ballett-Premiere in der Staatsoper birgt einige Rätsel: Warum heißt dieses Tanztheaterstück "Der Nussknacker"? Mit dem gleichnamigen Werk zu der Musik von Peter Iljitsch Tschaikowsky hat das von Ballettchef Zanella verfasste Libretto nichts mehr zu tun. Auch sollte man den Hinweis "nach E. T. A. Hoffmann" vermeiden, denn an die romantische Dämonie des Originals reicht das neue Buch nicht heran, die Nussknacker-Puppe hat für die Handlung keine weitere Bedeutung. Es gibt auch keine Fee Pralinee, kein Reich der Süßigkeiten. Und keinen Kampf zwischen Nussknacker und Mäusekönig.

Ein zweites Rätsel ist die willkürliche Behandlung der Tschaikowsky-Partitur. Da werden die Nummern durcheinandergewürfelt, im Schluss-Pas-de-Deux tanzt Clara die Musik des Prinzen und umgekehrt. Zu allem Überfluss ist zur dramatischen Auseinandersetzung zwischen Clara und ihrem Onkel ein Stück aus Tschaikowskys Ouverture "Romeo und Julia" eingefügt, stilistisch die bekannte Faust auf's Auge.

Das Libretto will "zeitgemäß" sein, denn angeblich glaubt man heute nicht mehr an Märchen. Es zeigt die Geschichte einer Thronfolgerin, deren böser Onkel selbst an die Macht will, sie entführt und verfolgt vom Prinzen mit ihr durch Europa flieht. (Seine betrunkenen Spießgesellen hätten das Problem einfacher aus der Welt geschafft). Doch schließlich sorgt die "Fee des Nordens" für ein Happy End und der böse Onkel muss sterben. Die Ausstattung von Christof Cremer ist bunt, teuer und kommt Zanellas Begabung zur Revue entgegen.

Nun kann man ein Libretto durchaus ändern, denn es steht nicht unter Denkmalschutz, doch muss eine Neufassung auch choreographisch umgesetzt werden. Das aber ist das Manko des Abends. Zanella kommt über ein beschränktes Schrittmaterial nicht hinaus, so manche Passage endet in Langeweile. Das wird bei den Nationaltänzen besonders deutlich, die kaum interessieren können.

Die Tänzer haben es dadurch schwer, doch tun sie ihr Bestes. Christian Rovny als böser Onkel ist ein Schurke von tänzerischem und darstellerischem Format, brilliert mit makelloser Technik. Jürgen Wagner macht als Prinz Alexej begreiflich, dass sich Clara in ihn verliebt, zeigt immer wieder seine gute Schulung und erweist sich als äußerst rücksichtsvoller Partner. Roswitha Over ist als Fee bildschön und elegant bis in die Fußspitzen. (Die Rolle war ursprünglich für Brigitte Stadler vorgesehen, die durch einen bedauerlichen Probenunfall ihre Laufbahn beenden musste).

Apropos Fußspitzen: Eine erste Ballerina wie Simona Noja dürfte nicht von der Spitze Fallen. Sie tanzt Prinzessin Clara-Maria, die zur Thronfolge ausersehen ist. Von seltsam kühler Ausstrahlung deutet sie an, dass ihr Alexej als Prinzgemahl nichts zu reden haben wird. Die Damen des Corps sind schlanke Schneeflocken, ihr Durcheinanderlaufen soll vermutlich das Schneegestöber darstellen.

Michael Halasz zeichnet verantwortlich dafür, was aus dem Orchester kommt: Das ist nicht immer erfreulich, oft grob und gänzlich ohne den Zauber der Partitur. Eltern seien gewarnt: Erzählen Sie Ihren Kindern vor dem Besuch des Balletts ja nicht das Hoffmann'sche Märchen. Die lieben Kleinen kennen sich dann nämlich überhaupt nicht aus.

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