Von der (Un-)Treue zur Spur

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Sabine E. Selzer

Breiter, schmäler oder "ganz normal"? Zwischen Schiene und Schiene können viele Interessen stehen.

Von den Anfängen bis heute gab es etwa 150 Variationen, sie reichen von gut 38 Zentimetern bis über zwei Meter, und selbst im Zeitalter der viel zitierten vorgeschriebenen Gurkenkrümmung sind sie noch nicht zur Gänze normiert, nicht einmal innerhalb der EU. Weltweit sind heute noch 30 verschiedene in Gebrauch.

Die Rede ist von Spurweiten. Spurweiten der Eisenbahnnetze. Jenem lichten Abstand, der von Schieneninnenkante zu Schieneninnenkante gemessen wird - genau 14 Millimeter unter der Oberkante der fabriksneuen Schiene - und der heute bei den meisten Bahngesellschaften (aber eben nicht bei allen) 4 Fuß und 8 1/2 Zoll beträgt oder in hierzulande gebräuchlicherer Maßeinheit 1.435 Millimeter. Diese "Normalspur" ging aus den erbitterten Rivalitäten zwischen Lokomotivfabriken als Sieger hervor, und das lange nach dem Tod ihres Erfinders. George Stephenson hatte 1848 das Zeitliche und seine sämtlichen Nachkommen gesegnet, darunter jede Menge Metall, gilt er doch als "Vater der Eisenbahn" - und eben auch als "Vater der Normalspur". Vor seinem Ableben hatte er allerdings durch seine technischen Erfolge genug Ansehen gewonnen, dass er 1845 (nicht ganz ohne Freunderlwirtschaft, die "gute alte Zeit" war diesbezüglich auch nicht besser) einen Parlamentsbeschluss durchsetzen konnte, in dem seine, die "Stephenson'sche Spur" zunächst einmal in England zum Standard erklärt wurde. Und am Festland spurte man bald auch. Und selbst in den USA. Drei Viertel aller Eisenbahnen verkehrten nun auf Eisenwegen von 4 Fuß 8 1/2 Zoll. Praktisch nicht nur für die Lokomotiv- und Waggonfabriken, die das richtige Maß erzeugten, sondern naturgemäß auch für die Reisenden, die heute wohl kaum mehr die Bahn benützen würden, müssten sie an jeder Landesgrenze umsteigen.

Aber überall durchgesetzt hat sich die Normalspur dann doch nicht. Russland etwa tanzte von Anfang an aus der Reihe. Hier fährt man auf großem, Verzeihung: breiten 5 Fuß. Beinahe wären es sogar 6 Fuß geworden. Aber als Zar Nikolaus I. 1842 die Vorteile der Eisenbahn nicht zuletzt für militärische Zwecke entdeckte, rechneten sich amerikanische Lokomotivfabriken die ihrigen aus, wenn sie ihre für diese Spurweite konstruierten Garnituren exportieren konnten, geschickte Vertreter überzeugten das Komitee, dass auch besagte 1.524 Millimeter völlig ausreichten für geräumigere Wagen und größere Geschwindigkeit - und ihr Wille geschah und gilt bis heute. Keine Revolution und kein kalter Krieg änderten etwas am ameri kanischen Maß der russischen Breitspur, und in Brest-Litowsk werden seit Jahrzehnten die Achsen der Spezialwaggons je nach Bedarf knapp 9 Zentimeter breiter oder schmäler gestellt, während sich die Reisenden darin in süßen Träumen wiegen.

Aber auch die Pyrenäen sind sozusagen eine Eisenbahnscheide. Zu Zeiten des ersten Ausbaus spanischer Schienennetze gab es keinerlei Platzmangel, so entschied man sich für eine breite Spur, die zwar beim Bau um einiges teurer kommt, im Betrieb allerdings sehr viel wirtschaftlicher ist. Mit diesem Argument konnte sich sogar in England zumindest kurzfristig ein Konkurrent Stephensons durchsetzen: Isambard Brunel. Der Vater erbaute den ersten Tunnel unter der Themse, der Sohn die Eisenbahn dazu, mit einer Spurweite von 7 Fuß die breiteste der Welt. Nur im Dritten Reich wäre dieser Rekord beinahe gebrochen worden - nun ja, sehr wahrscheinlich war es nicht. Es tobte bereits der Zweite Weltkrieg, als die Reichsbahn beauftragt wurde, Entwürfe für eine 3 Meter breite Spur zu liefern, und über das Planungsstadium gedieh das Projekt auch nicht hinaus.

Die meisten der heute noch gebräuchlichen Spurweiten sind allerdings nicht breiter, sondern um einiges schmäler als die Normalspur. Der Rekordhalter diesbezüglich ist Österreichern zumindest aus der Kindheit wohl bekannt: es ist die Liliputbahn im Wiener Prater; mit ihren 381 Millimetern Spurweite und knapp 4 Kilometern Länge ist es die kleinste öffentliche Bahn, die Personen transportiert. Und keineswegs nur Kinder. Sie ist beliebt bei vielen Prominenten und war es wohl auch bei jenem jungen Paar, das seine Hochzeitsreise auf der Liliputbahn absolvierte ...

Mit 76 Zentimetern fast doppelt so breit ist die legendäre Mariazeller Bahn, die wahrscheinlich bekannteste Vertreterin des österreichischen Schmalspurnetzes, das sich vor allem für unwegsames Gelände eignete und heute großteils nur noch spärlich im Lokalverkehr oder von Liebhabern gepflegt und als Touristenattraktion befahren wird.

Dieses Schicksal teilen allerdings nicht alle Schmalspurnetze. Einen Meter und ein paar "Zerquetschte" breit ist die "Kapspur", die sich ausgehend von Südafrika über große Teile des Kontinents, dann weiter nach Australien und sogar in einige Staaten Südamerikas ausbreitete. Ausschlaggebend für die Wahl einer schmäleren Spur waren - natürlich Kostengründe. In den Kolonien wollte man nicht so viel ausgeben wie zu Hause.

Und so zeigt sich noch einmal: neben topografischen Gegebenheiten und technischen Überlegungen stand auch bei der Wahl der Spurbreite vor allem eines im Mittelpunkt: wirtschaftliche Interessen.

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