Von der Unwägbarkeit der Obsession

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Nicht alles lässt sich steuern. Schon gar nicht Leidenschaften. Wie man mit ihnen umgehen soll, wenn sie unerwartet auftreten? Konkrete Antworten gibt auch das von Stephen Plaice verfasste Libretto von Birtwistles 2004 in Aldeburgh uraufgeführter 90-minütiger Kammeroper "The Io Passion“ nicht. Anstelle dessen konfrontiert es mit einer Vielzahl möglicher Assoziationen zu diesem Thema, das seinerseits vom Io-Mythos inspiriert wurde. Daher auch der Name des kammermusikalisch mit je drei Frauen und Männern, zwei Violinen, Viola, Violoncello und Bassettklarinette besetzten Stücks.

Dies führt in die Antike: Zeus hat sich in die schöne Tochter des Königs Inachos, Io, verliebt. Als ihn Hera überrascht, verwandelt er die Geliebte in eine Kuh, diese erbittet sich Hera zum Geschenk, um sie von Argos bewachen zu lassen. Zeus gelingt es, den hundertäugigen Argos einzuschläfern und befreit Io. Wütend versucht Hera Io in den Wahnsinn zu treiben - doch Io kann nach Asien fliehen. Unter der Bedingung, dass er von ihr ablasse, erlaubt Hera, dass Zeus Io ihre menschliche Gestalt schenkt.

Birtwistle und Plaice interessiert nicht, diese Handlung auch nur einigermaßen nachzuerzählen. Sie betonen in ihrem Stück das Episodenhafte, mischen Träume mit Realem, lassen die Personen, die in den acht Teilen dieser Oper als Sänger auftreten, als Sprecher agieren oder eine stumme Rolle zu mimen haben, vor und hinter der Bühne spielen - liegend, sitzend, sich aufeinander in die unterschiedlichsten Positionen werfend, lesend, Tee trinkend, in den Spiegel schauend, um sich und ihre Situation darin zu erkennen.

Irritierendes Vexierspiel

Ein betont irritierendes wie spannendes Vexierspiel, das die Regisseurin Nicola Raab bietet, unterstützt von Christian Weißkirchers nobel die einzelnen Atmosphären ausleuchtendem Lichtdesign. Dass dabei stets mit drei Farben agiert wird, lässt sich einfach begründen: Hinter dem Io-Mythos verbirgt sich die Schilderung der Mondgöttin, diese wurde wiederholt als himmlische Kuh verehrt. Dabei wurde der zunehmende Mond durch weiß, der Erntemond durch rot, der Neumond durch schwarz symbolisiert.

Eingeblendet findet sich der Mond in die von archaischer Klarheit und Strenge bestimmte Bühnenarchitektur (Claudia Doderer). Schließlich spielt sich diese Metamorphose um einen Mann und eine Frau, realisiert von sechs Protagonisten, die ein Geschehen quasi siebenmal wiederholen, im griechischen Lerna ab.

Brigitte Pekarek, Jennifer Davison, Barbara E. Schedel, Hans Gröning, Ben Maddox und Rupert Bergmann geben ihren (Doppel-)Partien auch die von der Regie gewollte Kontur. Umsichtig führt Daniel Hoyem-Cavazza sein Kammerensemble, sorgt für eine solide Balance zwischen Bühne und seinen rechts davor platzierten, ihre Parts ebenso solide ausführenden Musikern.

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