Von der „Vielfingrigkeit“ der Zeit und den Schwarzen Löchern

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Der Physiker Franz Embacher über den Stand der wissenschaftlichen Forschung, was die Relativität der Zeit betrifft, den Ursprung des Universums und sein mögliches Ende. Das Gespräch führte Oliver Tanzer

Franz Embacher ist theoretischer Physiker an der Universität Wien. Mit der Furche sprach Embacher über den wissenschaftlichen Begriff der Zeit, die Einsteinsche Relativitätstheorie und ihre Auswirkungen auf unser Leben.

Die Furche: Was sagt uns die Physik über das Universum in Zusammenhang mit der Zeit?

Franz Embacher: Dass die Zeit ein Phänomen im Universum ist und, wenn wir bei dem Modell bleiben, dass das Universum durch einen Urknall entstanden ist, dann würde dieses Modell sagen, dass damit auch die Zeit begonnen hat, weil es außerhalb des Universums keine Zeit gibt. Man kann aber auch andere Modelle betrachten und damit spekulieren, dass es vor dem Urknall auch ein Universum gegeben hat. Der Urknall wäre dann kein richtiger Urknall, sondern nur ein Zustand, in dem das Universum sehr klein und heiß ist. In einem dieser Modelle würde das Universum pulsieren, würde sich ausdehnen und wieder zusammenfallen und sehr klein werden und dann durch eine Kraft wieder abgestoßen, die man da ins Spiel bringe müsste.

Die Furche: Dafür den Nachweis zu erbringen, ist schwierig.

Embacher: Grundsätzlich wäre das schon denkbar, da ich dann nicht das Problem habe, wie das Universum entstanden ist, weil es immer da war. Man kann sich immer wiederkehrende Flaschenhälse vorstellen, in denen die Information über alles Davorliegende weitestgehend verschwindet und alles danach neu entsteht. Daher wird es kaum möglich sein, darüber Gewissheit zu erlangen. Wir wären hier in einer erkenntnistheoretisch pikanten Situation.

Die Furche: Aber wie weit ist man in der Wissenschaft, was Raum und Zeit betrifft?

Embacher: In den Grenzbereichen haben wir noch keine Theorie. Es gibt Spekulationen. Das läuft unter dem Schlagwort Quantengravitation. Das sind mathematisch sehr schwierige Gebiete. Man kann sich das so vorstellen: Vor der Allgemeinen Relativitätstheorie waren Zeit und Raum physikalisch fixe Größen. Mit der Relativitätstheorie sind Raum und Zeit zu Variablen geworden. Die Quantentheorie mag das aber nicht. Sie hätte gerne, dass zumindest auch die Zeit eine fixe Struktur hätte. Das ist der Grund warum die Allgemeine Relativitätstheorie und die Quantentheorie nicht zusammenpassen.

Die Furche: Wie beeinflussen die Erkenntnisse Einsteins unser Weltbild? Leben wir nicht immer noch nach dem Zeitbegriff, den Newton als absolut setzte?

Embacher: Im täglichen Leben ist die Relativität der Zeit nicht spürbar. Als Wissenschafter wissen wir, dass es für mehrere Beobachter mehrere Zeiten geben kann. Einige Absolutheiten sind weggefallen.

Die Furche: Gibt es Erfindungen, die ohne Relativitätstheorie nicht denkbar wären?

Embacher: Etwa unsere Navigationsgeräte. Die GPS-Satelliten bewegen sich einerseits um die Erde, andererseits befinden sie sich in ihrem Schwerefeld. Beides führt dazu, dass die Zeit, die auf dem Satelliten vergeht, anders ist, als unsere Zeit.

Die Furche: Es gibt Physiker, die meinen, die größte moderne Herausforderung sei es, zu erkennen, dass Zeit eigentlich nicht existiert.

Embacher: Die Zeit als Universalie, die benutzt werden kann, zu sagen, wann Dinge gleichzeitig passieren, eine solche Zeit gibt es nicht. Aber es gibt natürlich das Raum-Zeit-Kontinuum. Da gibt es diesen schönen Satz des Physikers Hermann Minkowski, den er 1908 bei der Vorstellung seines Raum-Zeit-Konzeptes gesagt hat: „Von Stund an sollen Raum und Zeit für sich völlig zu Schatten herabsinken, und nur noch eine Art Union von beiden soll Selbständigkeit bewahren.“ Das alles heißt nun aber, dass es keinen universellen Zeitfluss mehr gibt. Es gibt für jeden Beobachter seinen eigenen Zeitfluss abhängig vom Bewegungszustand. Man spricht in diesem Zusammenhang auch manchmal von einer Vielfingrigkeit der Zeit.

Die Furche: Ist Zeit in der größten aller feststellbaren Masse, in einem Schwarzen Loch eigentlich noch existent?

Embacher: Das ist vorstellungstechnisch sehr schwierig, vor allem, weil eine solche extreme Verdichtung, die dann in eine Singularität führt, nicht darin besteht, dass es in der Mitte des Schwarzen Lochs einen Punkt gäbe, den man berühren könnte. Sie ist etwas das sich jedem Gegenstand, der in dieses Schwarze Loch hineinfällt, in den Weg stellt. Diese Singularität besteht also eher darin, dass dort die Zeit aus ist.

Die Furche: Ist das dann auch das Ende der Ewigkeit?

Embacher: Man könnte sagen, dass die ganze Raum-Zeit in einem Zustand ist, zu dessen Eigenschaften es gehört, in einem Schwarzen Loch zu enden. Ich wäre sehr vorsichtig mit Begriffen wie Ewigkeit. Ich würde diesen aus der Religion stammenden Begriff in der Wissenschaft nicht verwenden.

Die Furche: Sie arbeiten mit Kindern, versuchen ihnen die Relativitätstheorie näherzubringen. Ein leichtes Unterfangen?

Embacher: Kinder nehmen solche Dinge oft einfach hin, ohne rückzufragen. Unter Umständen deshalb, weil sie solche Annahmen einfach als Spiel ansehen. Es kann ja auch durchaus sein, dass so phantastische Aussagen, wie jene der Relativitätstheorie wie ein Märchen wirken.

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