Von einer Festlichkeit zur nächsten

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Mit viel trockenem Humor und großem sprachlichen Furor gelingt Gertraud Klemm mit ihrem neuen Roman "Aberland" ein treffendes Porträt zweier Frauengenerationen.

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Mit viel trockenem Humor und großem sprachlichen Furor gelingt Gertraud Klemm mit ihrem neuen Roman "Aberland" ein treffendes Porträt zweier Frauengenerationen.

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Warum sehen die Frauen hier nicht zufrieden und satt aus, sondern wie Opfer einer großen Müdigkeit, oder so, als wäre es nicht ihr eigener Wille gewesen, hier nackt sonnenzubaden, als hätte ihnen ein kleiner Kommandant das angeschafft?" Darüber wundert sich die 58-jährige Elisabeth, eine der beiden Protagonistinnen in Gertraud Klemms neuem Roman "Aberland", die wie ihre Leidensgenossinnen auf der für Frauen reservierten Sonnenterasse eines Schwimmbades liegt. Übrigens täglich vom 1. Mai bis 1. Oktober, um ihre Schwimmkilometer zu absolvieren und anschließend eine Stunde zu sonnen. Doch eigentlich ist es kein Wunder, denn wie Elisabeth zählen auch diese Frauen zu den "Ja-aber"-Frauen.

Diese "Ja-aber"-Formulierung prägt ihr Leben, und das heißt vor allem, dass sie sich nicht wirklich entscheiden, nicht durchsetzen, dass sie sich ein- und unterordnen in die gesellschaftlichen Verhältnisse und bürgerlichen Lebensmuster. Sie stellen die Geschlechterrollen zwar in Frage, fügen sich dann "aber" doch in Hausarbeit und Kindererziehung und überlassen die Erwerbsarbeit den Männern. Bitterböse rechnet Gertraud Klemm in ihrem Roman mit dem weiten Feld des "Aberlands" ab. Die Liste der "Ja-aber"-Ausreden ist ebenso lange wie die Liste der Frustrationen und das nicht nur in der Müttergeneration, sondern auch in der Töchtergeneration.

Die Wut "veratmen" und zurücklächeln

Elisabeths Tochter Franziska, 35, ist in ihrem gutbürgerlichen Kleinfamilien-Setting mit Bulthaup-Küche weder zufrieden noch satt, im Gegensatz zu ihrer angepassten und resignativen Mutter aber immerhin noch wütend und rebellierend. Doch dann bekämpft sie ihre aufkommende Panik beim Lärm des Sohnes - "eine Kreissäge, die ihre Gedanken filetiert" - und ihre Wut auf Ehemann Tom, der sich ein zweites Kind wünscht, doch wieder mit dem beim Yoga gelernten "Veratmen" und lächelt zurück.

In abwechselnden und sprachlich differenten Kapiteln lässt Gertraud Klemm beide Frauen zu Wort kommen, in atemlosen Monologen die Tochter, in etwas abgeklärteren und zynischeren die Mutter. Elisabeth hat nicht studiert und nicht gearbeitet, ihre Tochter hat Biologie studiert und die Dissertation "Bestimmung der akuten Toxizität von Nanosilber in Zebrafisch-Embryonen und -Larven" begonnen, bis sie schwanger wird. Als ihr Sohn in den Kindergarten geht, beschließt sie, die Dissertation fertig zu machen und stellt sich vor, dass sie das Doktorin-Franziska-Fest nur mit sich selbst feiern möchte.

Generationen ohne Beziehungen

Beide Frauenleben laufen parallel nebeneinander her; beide beobachten einander argwöhnisch, begegnen sich aber nur selten. Nicht einmal, dass sie beide eine Affäre mit demselben Mann haben, führt zu Komplikationen. Was Mutter und Tochter verbindet, ist das bürgerliche Modell der Familie, zu dem gehört, dass der Schein der heilen Welt erhalten werden muss. Gertraud Klemms Wahl der literarischen Darstellungsform erweist sich als besonders gelungen: In den inneren Monologen enthüllt sich tabulos, was sich unter der beruhigten Oberfläche angestaut hat und niemals ausgesprochen werden darf. Und dazu zählt, dass sich beide eingestehen müssen, dass ihre Emanzipationsversuche gescheitert sind. Da es keine Außenperspektive gibt, keine Gegenpositionen, keine Dialoge, vermittelt sich ganz beiläufig, dass es auch keine persönlichen Beziehungen zwischen den Generationen gibt.

Schon in Gertraud Klemms Debütroman "Herzmilch"(2014) ging es um das Aufwachsen einer jungen Frau im bürgerlichen Ambiente, um weibliche Rollenbilder zwischen Autonomie und Fremdbestimmung, Mutterschaft und Karriere. Mit trockenem Witz führt sie in "Aberland" die feministische Bestandsaufnahme weiblicher Lebensmuster mit großem sprachlichem Furor fort. Nicht selten verbindet sie widersprüchliche Bilder zu einer Texteinheit, ein rhetorisches Mittel, das Witz und Komik kennzeichnet.

Wie ein roter Faden werden die beiden Monologe durch diverse Festlichkeiten verknüpft, denn - wie Franziska feststellt - sie sind "Knotenpunkte, an ihnen verhärten sich Traditionen zu Gesetzen". Bei Franziska reichen diese Festtermine vom Muttertagsbrunch beim Chinesen bis zur Kindergartenabschlussfeier, vom Osterfest bei den Tiroler Schwiegereltern bis zu Geburtstags- und Hochzeitsfeiern, bei Elisabeth von der Pensionsantrittsfeier des Ehemanns bis zum Begräbnis der Schwiegermutter, die von "Todesengeln" - so nennt sie die osteuropäischen Pflegerinnen -, betreut wurde. Diese Feste bieten Anlässe zu Reflexion und Beobachtung der Familienmuster mindestens zweier Generationen und dabei kann einem auch beim Lesen die Verzweiflung überkommen, weil sich so wenig verändert und so viel vererbt hat. Als die größte Falle erweist sich für die Frauen nach wie vor die Mutterschaft und die damit verbundene ungerechte Rollenverteilung, denn eine halbe-halbe geteilte Mutter-und Vaterschaft ist noch nicht in Sichtweite. Doch Franziska ist es leid, immer nur "zurückzufeiern", sie möchte endlich einmal "vorausfeiern" und vielleicht wird ihr das in Zukunft ja sogar einmal gelingen, ohne Aber.

So schonungslos und komisch wie Gertraud Klemm in "Aberland" hat schon lange keine Autorin mehr die Banalität des bürgerlichen Frauenalltags in einem Roman entlarvt.

Aberland

Roman von Gertraud Klemm

Literaturverlag Droschl

2015

184 S., geb., € 19,-

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