Von Freiheit und Feigheit

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Die revoltierende ägyptische Jugend hat Besseres verdient als das Vorschuss-Misstrauen des Westens. Denn in dieser demokratischen Bewegung ruht vielleicht sogar der Schlüssel zum Frieden im Nahen Osten. Wir sollten ihr helfen.

Es stimmt nicht, dass Politiker westlicher Provenienz bloß aus Liebe zum politischen Ränkespiel zum Lippenbekenntnis neigen. Gerade dieser Tage zeigt sich beim Thema Ägypten, dass dahinter auch schiere Ratlosigkeit stehen kann: Halten wir zu Mubarak oder zu den "guten“ Demokraten? Stehen wir zur korrupten Mechanik der Macht oder zu den hohen Werten, auf die wir Eide geschworen haben? Hier beginnt der gequälte Vertreter der Freien Welt, ängstlich zwischen ethischen Beteuerungen und der Perversion täglicher Praxis hin und her zu schlittern. Angela Merkel wusste das freimütig zusammenzufassen: "Real- und Moralpolitik sind manchmal miteinander unvereinbar.“ So sehr diese Einschätzung die Politik der Entscheidungsträger auch prägen mag, so hoffnungslos falsch ist sie. Gerade Merkel müsste wissen, dass sich in den wenigen Augenblicken der Geschichte, in denen sich Real- und Moralpolitik vereinen durften, epochal Positives entstehen konnte. Wäre dem nicht so, hätte die Revolution 1989 nicht stattgefunden, und Merkel wäre heute wohl desillusionierte Hilfsphysikerin in der realsozialistisch dahinvegetierenden DDR.

Chance oder Bedrohung

Es drängt sich die Vermutung auf, dass die Politik derart träge geworden ist, dass sie wider besseres Wissen Veränderung mit Bedrohung gleichsetzt. Nicht umsonst wird vom ersten Tag der ägyptischen Volkserhebung in Wort und Bild an die iranische Revolution 1979 erinnert - ein Ausdruck der Angst, welche den Westen derzeit umtreibt: Was in Arabien als Freiheitskampf beginne, ende stets unter der Knute des Islamistendiktats. Die Konsequenz aus dieser Sorge ist die peinliche Betretenheit, die aus den Regierungs-Kanzleien westlicher Herrenstaaten quillt: ein hilfloses "äh“ für die Demokraten mit angehängtem Solidaritäts-Postskriptum an Lieblings-Diktator M. und seinen Vize Suleiman, die unterdes in Kairo Schläger gegen Demonstranten hetzen und Politiker und Journalisten zu Hunderten einkerkern lassen. Ist das der Preis, den wir für eine "strategische Partnerschaft“ zu bezahlen bereit sind, die uns angeblich vor Terror schützt und die Region "stabilisiert“?

Fadenscheinige Argumente sind das. Ist nicht längst klar, dass die Unterdrückung der Völker durch diese Herren mitverantwortlich für den Terror ist, den sie angeblich hintanhalten? Und was die "Destabilisierung“ des Nahen Osten betrifft: Was an der Lage dort ist denn "stabil“ zu nennen? Bestenfalls der Hass, mit dem man einander seit Generationen demütigt und tötet.

Die ägyptische Revolte böte Gelegenheit, das Modell der arabischen Militärfürsten aus den 50er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts endlich auf den Müllhaufen der Geschichte zu entsorgen. Die Diktatoren haben ihre Chance, Frieden unter den Völkern zu schaffen über Jahrzehnte lang gehabt und kläglich versagt. Es ist Zeit für einen Neustart. Warum sollte die Freiheit nicht jene Dynamik schaffen, die den dringend nötigen Fortschritt möglich macht?

Das arabische Problem - unser Problem

Spätestens seit dem 11. September 2001 ist gewiss, dass das arabische Problem ein globales Problem ist. Sowohl die Al Kaida als auch das Regime im Iran nähren sich maßgeblich vom Nahostkonflikt. Doch dieser besteht nicht nur aus der Auseinandersetzung Israels mit den Palästinensern, sondern auch in der Unfreiheit und Armut der arabischen Völker. Ihre Selbstermächtigung ist ein Schlüsselfaktor für die Gesamtlösung.

Der Westen sollte also nicht passiv auf einen neuen starken Mann in Kairo warten, sondern mithelfen, ein neues starkes System zu schaffen - das der starken Männer nicht mehr bedarf. Wenn die Politik weiter auf die korrupte Nomenklatura setzt, steht am Ende des Aufstandes vielleicht ein neuer "Garant der Stabilität“ - aber der Schaden wird immens sein. Die Freiheit ist ein Wagnis - auch in Ägypten. Aber erinnern wir uns an 1989, als der Mut gewann. Damals hieß es: "Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben.“ Das geht uns an: Wir sind heute schon sehr spät dran in Kairo.

* oliver.tanzer@furche.at

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