Von Göttern und Touristen

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Heinz R. Unger mischte klug Mythologie und Zeitgeschichte.

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Heinz R. Unger mischte klug Mythologie und Zeitgeschichte.

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Der Zustrom zu Sekten und Gurus hält an, die Sehnsucht nach Übersinnlichem und Irrationalem wird auch am Ende des aufgeklärten 20. Jahrhunderts nicht kleiner. Viele Autoren begeben sich trendkonform auf Sinnsuche, was nicht immer ohne Peinlichkeiten abgeht. Ganz anders Heinz R. Unger, der Autor der "Proletenpassion", jener "Geschichte von unten", die einst von den "Schmetterlingen" eindrucksvoll vertont wurde. Er hat sich mit kritischem Blick im Olymp umgesehen. Eifersucht, Rache und Betrug gehören dort zur Tagesordnung, ein den jungen Mädchen in vielerlei Gestalt nachstellender Göttervater, rasende Ehefrauen und unzählige Halbgöttinen und -götter zeugen von durchaus menschlichen Hierachien und politischen Intrigen unter den griechischen Göttern. Bei Unger findet der "Karneval der Götter" aber auf der Erde statt.

In seinem neuen, ganz harmlos als Griechenlandroman und Urlaubslektüre getarnten Buch prallen sinn- und erholungshungrige Nordeuropäer auf südeuropäische Gelassenheit, archaischen Götterglauben und die verschwiegenen Leiden der Griechen am deutschen Faschismus im zweiten Weltkrieg. Takis, der ungewollte Held im Drama auf dem Peloponnes, stammt aus Mani, "jener Gegend, die immer schon das Ziel der Fliehenden aller Zeiten gewesen war". Auch er ist ständig auf der Flucht: seinen Eltern im "Ziegendorf" versichert er, in der Stadt zu studieren, obwohl er nur als Aushilfskellner arbeitet. Seine Braut hat er wegen einer deutschen Fremdenführerin verlassen, sein "Professor" ist der Besitzer eines kleinen Kiosks, der von der Idee besessen ist, daß die griechischen Götter, die "Unsterblichen", noch immer unter uns weilen.

Zerrissen zwischen der alten Kultur, die ihn als Kind umgab, und der verrückten, modernen Welt, in der "Hermes, der Gott der Kaufleute und Diebe endgültig die Weltherrschaft angetreten hat", sucht Takis seine Wurzeln und seinen Weg. Der verrückte Professor wird ihm zum Begleiter, der eigene politische Theorien entwirft: "Der Klassenkampf besteht in Wirklichkeit aus der Paarung Produzierende gegen Handelnde" erklärt er seinem verwirrten Studenten, "die einen säen, die anderen ernten. Aber Hermes ist der überlegene Sieger im heutigen Olymp. Statt Politik geschieht Handelspolitik, statt Agrarwirtschaft Agrarhandel, statt Kunst Kunsthandel, und die Kriege haben einen einleuchtenden Grund: Waffenhandel."

Die Flucht vor der Wirklichkeit bringt das ungleiche Paar nach Kalavrita, "der blutdunklen Stadt, Ort des größten Massakers der Deutschen im Land, jedes griechische Kind kennt ihn". Schreckliche Erinnerungen für Kastaniotis, den Professor, der als Kind, "alt genug, um das Wesentliche mitzukriegen", in einer Kirche eingeschlossen die Schüsse auf Angehörige und die brennende Stadt erlebt hat. Auch eine deutsche Urlauberfamilie besucht die "Sehenswürdigkeiten" von Kalavrita, zusammen mit dem alten, todkranken Vater, der sich ein Leben lang geweigert hat, nach seinem Wehrmachteinsatz Griechenland wieder zu betreten. "Lebensplanung auf dem Millimeterpapier" läßt sie ein Feriendomizil erwerben, das der alte, von traumatischen Täter-Erinnerungen geplagte Vater finanzieren soll. Die Nornen, die in der griechischen Mythologie die Schicksalsfäden spinnen, verweben nun die der "fliehenden" Griechen mit denen der "angekommenen" Deutschen.

Es gelingt Unger, die rotgerösteten I-love-Hellas-Touristen und ihre einfältige Suche nach authentischem, einfachem Leben witzig darzustellen und ihre schrecklichen Spuren in diesem Land bloßzulegen. Im Stil einer griechischen Tragödie agieren alle Beteiligten. Ein Altphilologe aus Basel tritt auf, der akribisch nach Götterspuren für wissenschaftliche Zwecke sucht und verzückt und unterwürfig den Theorien des Kiosk-Professors lauscht. Takis' einfache Familie, von allem überfordert, clevere griechische Touristen-Abzocker, die am Ausverkauf ihres Landes wenigstens kräftig mitverdienen wollen, ein Werbegrafiker ("keiner schaffte die Fettaugen auf der Suppe so eindrucksvoll wie er"), der um Liebe miaut und eine Nymphomanin, die allen den Kopf verdreht. Auch eine Journalistin auf der Suche nach authentischen Reportagen betritt die Bühne. Sie will, mit Seitenhieben auf Autoren, "die mit klassischen Sagen des Altertums das große Geschäft machen, ohne je in Griechenland gewesen zu sein", einen Hauch von Authentizität einfangen, wendet sich aber wieder nur an den Schweizer Altphilologen, der das alles nur aus Büchern kennt. Sie alle haben Namen aus der griechischen Mythologie, denn, meint Unger, "gemessen an unseren Belanglosigkeiten, agieren wir wie Unsterbliche". Die Kunst des Autors besteht darin, Belanglosigkeiten bloßzustellen und dabei schmerzhaft bewußt zu machen, daß sie zu unserem alltäglichen Leben längst ganz selbstverständlich dazugehören.

Auch in diesem Sommer werden Schwärme von Touristen auf den Spuren des klassichen Altertums über Griechenland hinwegtrampeln und ihren "Kaffe brühen, und ihre Eier hart kochen, ganz wie sie es von zu Hause gewohnt waren, nur diesmal mit Blick aufs Meer". Kalavrita, der Ort des Grauens, wird wie das Orakel von Delphi und die Akropolis zur Sehenswürdigkeit einer längst vergangenen Zeit. Nach der Lektüre von Heinz R. Ungers "Griechenlandroman" treibt einem dieser Name allerdings Tränen in die Augen.

Ein schönes, originelles Buch, das viele in den Urlaub begleiten sollte, da es Details der griechischen Kultur liebevoll vermittelt und ein schlimmes Kapitel Zeitgeschichte in Erinnerung ruft. Ein Buch, das jenseits der aktuellen Köhlmeierei die vielschichtigen und psychologisch interessanten Geschichten der griechischen Götter vom Olymp herunterholt. Letzendlich muß man dem verschrobenen Kiosk-Professor recht geben, die olympische Mafia weilt längst unter uns und den Schicksalsfäden der Nornen entkommt man nicht.

Karneval der Götter. Ein Griechenlandroman von Heinz R. Unger. Haymon Verlag, Innsbruck 1999. 240 Seiten, geb., öS 248,- / e 18,02

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