Von Indianern und Bischöfen

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Eine mexikanische Federinfel aus dem 16. Jahrhundert zeigt die Kreuzigung Christi an der Spitze eines Lebensbaumes.

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Eine mexikanische Federinfel aus dem 16. Jahrhundert zeigt die Kreuzigung Christi an der Spitze eines Lebensbaumes.

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Christliche Kunst befindet sich weltweit außer in Kirchen und Abteien vor allem in Kunst- und Dommuseen, Bibliotheken und Archiven. Wien bietet diesbezüglich reiche und vielfältige Bestände. Kaum bekannt ist in diesem Zusammenhang das Weltmuseum Wien -ehemals Museum für Völkerkunde - mit seinen außereuropäischen Sammlungen, doch werden auch hier exklusive christliche Exponate verwahrt. Zu diesen Kostbarkeiten darf mit Sicherheit eine mexikanische Bischofsinfel aus dem 16. Jahrhundert gezählt werden, die von Indianern Westmexikos reich mit irisierenden Federn unter anderem von Kolibri, Ara, Flamingo und Rosalöffler dekoriert wurde.

In Europa wurden die mexikanischen Federbilder sehr bewundert, doch hielten Betrachter wie Papst Sixtus V., die mit dieser Federtechnik nicht vertraut waren, sie (zu Unrecht) für Malereien und es blieb den Europäern verborgen, welche Bedeutung Federn ursprünglich in den religiösen Zeremonien der indianischen Kulturen besessen hatten.

Federgewänder und Federschmuck

1536 wurde Vasco de Quiroga zum Bischof von Michoacán im Westen Mexikos geweiht und versammelte die indianische Bevölkerung zum Schutz gegen spanische Ausbeuter und Versklavung in Siedlungen, die nach dem Vorbild der "Utopia" von Thomas Morus organisiert waren. Hier wurde sie christianisiert und in die spanische Lebensweise eingeführt. Gemeinsam mit Bartolomé de las Casas gilt Quiroga bis heute als Beschützer der indianischen Bevölkerung und wird von ihr als Heiliger verehrt. Quiroga förderte unterschiedliche Handwerksberufe, darunter das Federkunsthandwerk, das zur Herstellung christlicher Bilder eingesetzt wurde. 1547 nahm Quiroga Handwerker und Federobjekte mit sich nach Spanien, um sie am Hofe Karls V. zu präsentieren. Dort wurde auch die hier besprochene Infel fertiggestellt. Sie kam in den Besitz des Bischofs Pedro de la Gasca, des ehemaligen Vizekönigs von Peru, und gelangte in weiterer Folge in die Kunstkammer von Schloss Ambras, wo sie im Inventar von 1596 Erwähnung findet. 1935 wurde sie in die Sammlungen des Museums für Völkerkunde übernommen. Außer diesem Exemplar existieren nur noch sechs weitere Federinfeln, und zwar in Toledo, im Escorial, in Mailand, Florenz, Lyon und New York. Exemplare in Graz und München sind verloren gegangen.

Die auf der Wiener Infel dargestellten Szenen stimmen mit denjenigen einer Infel überein, die der Kardinal von Toledo und Primas von Spanien erhielt und die sich nunmehr in der Schatzkammer der Kathedrale von Toledo befindet.

Im vorspanischen Mexiko war die Federkunst seit jeher hoch geschätzt. Die besten Federkünstler arbeiteten ausschließlich für die Elite und für die Ausstattung der Staatszeremonien. Federgewänder und Federschmuck wurden für Götterstatuen, Priester, Menschenopfer und natürlich für die Herrscher angefertigt. Die Federn hatten dabei eine Funktion in der Kontaktaufnahme zwischen dem irdischen und dem überirdischen Bereich. Als katholische Geistliche im neu eroberten Mexiko die Vermittlerrolle der früheren Priester übernahmen und sich liturgische Gewänder mit Federn umlegten sowie eine Federinfel auf dem Kopf trugen, war das der indianischen Bevölkerung vollkommen vertraut und für sie selbstverständlich. Auch die Darstellung des Heiligen Geistes als Taube und von Engeln als geflügelte Botschafter aus dem Jenseits, wie sie auf der Infel zu sehen sind, fügte sich deshalb ohne weiteres in die Vorstellungswelt der Indianer ein.

Auf der Rückseite der Infel erscheint die Wurzel Jesse als (vereinfachter) Stammbaum Jesu nach Jesaias und dem Matthäus-Evangelium (Jes 11,1-10; Mt 1,1-17). Jesse, der Vater König Davids, ist hier gemäß der Tradition schlafend und am Boden liegend wiedergegeben; von ihm geht der Spross der Nachkommenschaft aus. Zu seinen Füßen und hinter ihm steht jeweils ein Löwe mit einer Blume, das Symboltier Judas, des Stammes Israels, aus dem der Messias geboren wurde. Die ihm beigegebene Blüte verweist auf das Blühen des Geschlechtes. Ganz zuoberst im Baum befindet sich in der Mandorla als Abschluss und Krönung Maria mit dem Jesusknaben im Schoß. Dem bekannten Kirchenlied "Es ist ein Ros [= Reis] entsprungen" zufolge ist Jesse die Wurzel, Maria der Rosenstock aus der Wurzel und ihr Kind das "Blümlein" - auch hier ist die Blume also Sinnbild der blühenden Nachkommenschaft Davids. Maria und Jesus sind von Engeln umgeben.

Die in den Zweigen angeordneten Könige von Israel und Juda verweisen auf die dreimal 14 Generationen zwischen Abraham und Jesus: Es sind 14 von Abraham bis David, darauf folgen 14 bis zur Babylonischen Gefangenschaft und an-sowie abschließend 14 bis Jesus von Nazareth. Eine frühe Version dieser Ikonographie findet sich in einem 1497 von Philippe Pigouchet gedruckten Stundenbuch, den "Horae in laudem beatissimae viriginis Mariae". Diese bildliche Darstellung wird kurz danach offenbar vom gleichen Künstler adaptiert und anschließend mehrfach abgedruckt; die Komposition diente als Vorlage für die Federinfel.

In die Darstellung der Wurzel Jesse sind 32 Vögel integriert, eine Zahl, die auf das Alter Jesu zur Zeit seiner Kreuzigung verweist. Ferner sind zwei Schmetterlinge dargestellt. Diese Tiere versinnbildlichen weltweit -so auch im Christentum und im vorspanischen Mexiko -die Transformation in eine andere Daseinsform. Die Zahl 2 verweist auf das irdische Leben Jesu, auf das der Tod am Kreuz und die Auferstehung folgten (1. Verwandlung), sowie darauf, dass Christus nach seiner Auferstehung den Jüngern erschien und in den Himmel aufgenommen wurde (2. Verwandlung). Allerdings war die Darstellung eines Lebensbaumes im Verein mit Vögeln und Schmetterlingen bereits im vorspanischen Mexiko ein gängiges Motiv, ebenso der Gedanke des Lebenszyklus, bei dem aus dem Tod neues Leben entsteht.

Lebens- oder Weltenbaum

Für die Bewohner des alten Mexiko befand sich der Lebens- oder Weltenbaum im Zentrum des Kosmos. Er verband die drei Ebenen des Universums miteinander: Unterwelt, Erde und Oberwelt. Wie eine analoge Idee im Christentum visualisiert wurde, geht aus der Vorderseite der Infel hervor; zugleich wird auch hier erkennbar, wie europäische Traditionen und solche aus Amerika bei der Propagierung des christlichen Glaubens zusammenwirkten.

Die Vorderseite der Infel zeigt in Fortsetzung der Darstellung auf der Rückseite einen Weinstock beziehungsweise Lebensbaum mit dem Gekreuzigten an der Spitze. Der Baum wächst aus dem Grab Adams empor; aus ihm wurde der Stamm des Kreuzes, der durch den Opfertod und die Auferstehung Jesu selbst zum neuen Baum des Lebens wurde. Die Kreuzigungsszene ist von Engeln, Petrus und Paulus sowie von Aposteln und den Evangelisten umgeben, wiederum sind es insgesamt 14 Personen. Petrus steht für die Autorität der Kirche, Paulus als Apostel der Heiden für ihren Missionierungsauftrag, wobei hier naturgemäß in besonderem Maß auf die Christianisierung der Indianer Bezug genommen wird. Das Bildprogramm vermittelt zugleich die Nachfolge der Apostel durch die Bischöfe. Die Gläubigen, die dem Bischof in einer Prozession folgten, sahen die biblische Geschichte bis Jesus; diejenigen, auf die der Zelebrant zuschritt, wurden durch die Ikonographie der Vorderseite auf die ununterbrochene Tradition von Jesus über die Apostel bis hin zu ihrem Bischof verwiesen.

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