Von Napoleon zur NATO

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An den Feiern zum 200. Jahrestag der Schlacht von Austerlitz lässt sich die Befindlichkeit in Tschechien, aber auch im zusammenwachsenden Europa von heute ablesen.

Mit der Nachstellung von Schlachten haben die Tschechen angesichts zahlreicher landeseigener Schlachtfelder von den Hussitenkriegen bis Königgrätz einige Erfahrung. Ihr Interesse an Geschichte verbindet sich dabei mit ihrer Freude am Spektakel, und so verwundert es nicht, dass sich vor oder nach dem 2. Dezember alljährlich hunderte aktive und tausende passive Schlachtenbummler am Schauplatz der Dreikaiserschlacht südöstlich von Brünn versammeln. Die schlechte Jahreszeit nehmen sie in Kauf, weil "Winterwetter, Kälte und Dunkelheit die Pietät erhöhen" und vielleicht auch, weil sie dann Napoleons Worte am Ende der Schlacht auf sich beziehen können: "Es genügt, wenn ihr sagt: Ich habe in Austerlitz gekämpft, und jeder wird euch antworten: Das ist ein Held."

Re-Enactment der Rekorde

Das heurige Re-Enactment soll alle Rekorde schlagen: 4.000 Hobbysoldaten und 30.000 zahlende Besucher werden erwartet. Den Meldungen auf der Homepage www.austerlitz2005.com ist der Ehrgeiz anzumerken, logistisch keinesfalls dem genialen Feldherrn nachzustehen, der hier 75.000 Soldaten der Grande Armée über 85.000 Soldaten der Alliierten zum Sieg führte. 16.000 Mahlzeiten werden für die Mitwirkenden vorbereitet und Ströme von Bier, aber auch Wein aus dem angrenzenden südmährischen Weinbaugebiet werden fließen, befindet sich unter den Sponsoren doch auch ein Weinproduzent und haben sich schon die Soldaten, die dem Gemetzel mit seinen 20.000 Toten entkommen waren, mit allem betäubt, was ihnen in die Hände fiel. Zu den zwei Themen Wein und Napoleon wurde übrigens auch ein Karikaturenwettbewerb ausgeschrieben, an dem sich 121 Autoren aus 30 Ländern beteiligten.

Paradoxe Gedenkstätte

Hauptorte der Aktion "Austerlitz 2005" sind der Santon, Napoleons Feldherrnhügel zu Beginn der Schlacht, bei der Ortschaft TvaroÇzná an der Straße von Brünn nach Olmütz, wo am Samstag, dem 3. Dezember, die Schlacht nachgestellt wird; weiters die Stadt Austerlitz, tschechisch Slavkov u Brna, wo am Abend der Sieg Napoleons über Zar Alexander I. und Kaiser Franz mit Parade und Feuerwerk gefeiert wird; und schließlich das Friedensdenkmal auf dem Hügel von Pratzen (Prace), wo das Gedenken am Sonntag, dem 4. Dezember mit einer Kranzniederlegung zu Ende geht.

Auf dem heute Friedenshügel (Mohyla míru) genannten Bergrücken hatte Napoleon die Österreicher und Russen in die verhängnisvolle Falle gelockt, und hier wurde gut hundert Jahre später die große Gedenkstätte errichtet, ein Hauptwerk des tschechischen Jugendstils. Initiator des Gedenkens war der von panslawistischen Ideen beseelte Brünner Priester Alois Slovák, dem es gelang, die russische Regierung zur Übernahme der Hälfte der Finanzierungskosten zu bewegen. Kein Erfolg war hingegen seinem pazifistischen Engagement beschieden - als das Friedensdenkmal im August 1914 eingeweiht werden sollte, brach gerade der Erste Weltkrieg aus.

Das nicht ganz einfache Verhältnis der Tschechen zur Schlacht von Austerlitz spiegelt sich in den Baumpflanzungen vor dem Denkmal, die seit 2003 vorgenommen wurden. Setzte das Militärhistorische Museum der Russischen Föderation eine Birke vom Schlachtfeld in Borodin, wo Napoleon wie in Austerlitz über General Kutusow siegreich gewesen war, gedachte die Stadt Ay-sur-Moselle als Vertreterin Frankreichs mit einer Eiche und der österreichische Militärattaché in Prag heuer im April mit einer Blutbuche der Opfer der Schlacht von Austerlitz, so wurde von tschechischer Seite eine Linde zum Gedenken an Pater Slovák gesetzt, aus Anlass des 85. Jahrestages der Entstehung der Tschechoslowakischen Republik. Und es fällt auf, dass über die Aktion "Austerlitz 2005" nicht der Präsident der Republik, sondern nur der Parlamentspräsident, der Ministerpräsident und einige andere Würdenträger den Ehrenschutz übernommen haben.

Sympathien für Napoleon

Dass die Tschechen viel eher mit der Grande Armée als mit jener sympathisieren, in der ihre Vorfahren 1805 gekämpft haben, zeigt sich insbesondere am Napoleontag, der in Slavkov alljährlich in zeitlicher Nähe von Napoleons Geburtstag gefeiert wird. Dass dieser auf den 15. August, also nur drei Tage vor jenen Kaiser Franz Josefs, fällt, ist da ein willkommener Zufall. Mit diesem Kaiser-Geburtstag in weiß, blau und rot (die tschechischen Landesfarben sind mit den französischen und auch den russischen ident) ist nicht nur ein mit Kanonenschuss eröffnetes Golf-, sondern auch ein internationales Pétanque-Turnier verbunden. Mit Frankreich wurde zudem eine gemeinsame Briefmarke herausgegeben, die Napoleon und das Friedensdenkmal zeigt. Was eine Broschüre aus den kommunistischen Sechzigerjahren über die Tschechen formuliert, gilt abgeschwächt offenbar auch heute noch, dass sich nämlich in der napoleonischen Zeit "der Prolog ihrer eigenen nationalen Historie der Kämpfe mit dem Feudalismus abgespielt hat". Napoleon wird nicht als Despot, sondern als Transporteur fortschrittlicher Ideen gesehen.

Für Touristen freilich wird die Schlacht möglichst neutral und möglichst theatralisch aufbereitet: mit Touchscreens und einem audiovisuell belebten Diorama in der Ausstellung hinter dem Friedensdenkmal und mit einer dreidimensionalen virtuellen Präsentation im Schloss zu Austerlitz, die aus schwer verständlichen Gründen erst dieser Tage eröffnet werden soll. In dem mächtigen Barockbau mit seinen erlesenen Interieurs werden fast verschämt auf Verlangen auch Napoleon-Devotionalien wie Tabakdosen, Briefbeschwerer und ein Baumblatt vom Grab auf Sankt Helena gezeigt, und im Museumsshop gibt es für Klavierspieler die "Schlacht bei Austerliz für das Forte Piano" zu erwerben, "auf die leichteste Art gesetzt von Gottfried Rieger Kräflischhaugwizischen Kapellmeister". Im Schloss tritt andererseits alljährlich Ende September die Austerlitzer "Versöhnungsinitiative" zusammen, die an die Bemühungen Pater Slováks anknüpft und die Ökumene fördert. Auch Kirchenvertreter aus Nordirland und Österreich waren hier schon zu Gast.

Bündnis weiter entwickeln

Das Historische Museum im Schloss soll zu einer zentralen Stelle für die Erforschung der napoleonischen Zeit ausgebaut werden. Wissenschaftliche Konferenzen werden auch im nahen Brünn abgehalten, am 2. und 3. Dezember eine an der dortigen Verteidigungsuniversität zum Thema "Europa 200 Jahre nach der Schlacht von Austerlitz". Was die Mitteleuropäische Napoleon-Gesellschaft mit der Rekonstruktion der Schlacht praktiziert, bei der Angehörige verschiedener Völker in die Uniformen einstiger Feinde schlüpfen und freiwillig Kommandanten anderer Armeen gehorchen, wird hier theoretisch untermauert. Die Entwicklung der europäischen Sicherheitsstrukturen und die "Weiterentwicklung des Bündnisses im Rahmen der nato und Zusammenarbeit mit den Wehrkräften Russlands, der Türkei, der Ukraine und mit Heeren anderer europäischer demokratischer Staaten" deuten den neuen politischen Horizont an, unter dem das Jubiläum der Dreikaiserschlacht im Jahr 2005 begangen wird.

Gegend findet keine Ruhe

Den Bau einer Radarstation ausgerechnet auf dem Hügel von Pratzen hat die nato auf Grund von Bürgerprotesten zumindest fürs Erste vertagt, doch es scheint, als komme die so friedliche Gegend nicht zur Ruhe. Der Ort Prace wurde schon von den Tataren verwüstet, im Dreißigjährigen Krieg fast zur Gänze niedergebrannt, im Zweiten Weltkrieg fielen bei seiner Befreiung nicht weniger als 32 Sowjetsoldaten und ein Denkmal an der Außenwand des Friedhofs erinnert an sieben Knaben im Alter von neun bis zwölf Jahren, die sechs Jahre nach Kriegsende an dieser Stelle beim Räuber-und-Gendarm-Spielen von einer Granate getötet wurden ...

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