Von prekären Wanderarbeitern zu Heiligen

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Der deutsche Schriftsteller und Liturgiekenner Martin Mosebach legt in seinem Reisebericht "Die 21" ein berührendes Porträt jener Wanderarbeiter vor, die 2015 nach 41 Tagen Gefangenschaft am Strand der libyschen Stadt Sirte von IS-Schlächtern ermordet wurden.

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Der deutsche Schriftsteller und Liturgiekenner Martin Mosebach legt in seinem Reisebericht "Die 21" ein berührendes Porträt jener Wanderarbeiter vor, die 2015 nach 41 Tagen Gefangenschaft am Strand der libyschen Stadt Sirte von IS-Schlächtern ermordet wurden.

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Der vielstrapazierte Dialog der Religionen sieht für Christen im Nahen Osten im Alltag vielfach so aus: Verfolgung, Ermordung, Diskriminierung. Noch dazu passiert dieses Leiden unter Ausschluss der Öffentlichkeit, denn im Wettbewerb um die bemitleidenswertesten Opfer haben Kopten bei "Konkurrenten" angesichts von Beschneidung, Landraub, Privatisierung des Wassers, Feinstaub, Flüchtlingskrise und vieles mehr in der Aufmerksamkeitsökonomie schlechte, weil kaum monetarisierbare Karten.

Erstens sind die Kopten Christen, was sie für das säkularisierte Europa a priori verdächtig macht, zweitens fehlt dem Christ-Sein jegliche Exotik, und drittens plagt den Durchschnittseuropäer noch immer das schlechte Gewissen gegenüber Bewohnern der früher so genannten Entwicklungsländer. Polemisch formuliert: Vielleicht brennen die Muslime ja nur Kirchen in Ägypten ab, weil sie noch immer vom englischen Kolonialismus traumatisiert sind? Werden Kirchen geschändet und zerstört, schafft es eine solche Barbarei kaum ins Feuilleton, wo lieber in sich widersinnige Begrifflichkeiten wie Islamophobie diskutiert werden, wie der Wiener Psychoanalytiker Sama Maani nachgewiesen hat. Begriffliche Abstraktionen ersetzen bei den liberalen Neuigkeitentrödlern allzuoft eine Beschäftigung mit der konkret fassbaren Wirklichkeit. Genau das vermeidet Martin Mosebach in seinem Buch -er will die Präsenz Gottes in der koptischen Liturgie zeigen und beschreiben.

Keine Abrechnung mit dem Islam

Ein ursprüngliches Christentum wie zur Zeit Jesu leben die Kopten, die als ethnische Minderheit mehr sind als eine Religionsgemeinschaft. Sie sind die Urbevölkerung Ägyptens, die seit der islamischen Invasion im achten Jahrhundert verfolgt, gedemütigt, unterdrückt, aber nie gebrochen und ausgerottet wurde und sich ihren ursprünglichen Ritus und eine magische Liturgie bewahrt hat. Seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts erlebt das koptische Christentum sogar eine kleine Renaissance. Mosebach instrumentalisiert seine Reise nicht für eine naheliegende Abrechnung mit dem Islam. Nein, die in Ägypten vorherrschende und durch die Muslimbrüderschaft seit den 1920er-Jahren radikalisierte politische Religion interessiert ihn im vorliegenden Buch überhaupt nicht, auch wenn die Frage, welcher monotheistische Gott Mord an Wehrlosen gutheißt, natürlich naheliegend wäre.

Mosebach will mit seinem Buch für die Schönheit des Christentums sensibilisieren und zeigen, dass die Bewahrung einer gelebten Liturgie ein Schatz für die Gläubigen ist. Um herauszufinden, warum die Martyrer ihr Schicksal ohne Wehklagen, dafür mit Begeisterung und mit Frömmigkeit gemeistert haben, besuchte Mosebach die Familien, Angehörigen, Priester und Bischöfe der Heiligen. Der Dichter wollte verstehen, warum in dieser Religionsgemeinschaft eine Bekenntnisfreudigkeit bis hin zum Tod gegeben ist, während der Durchschnittschrist in Österreich schon am sonntäglichen Kirchgang scheitert und es in Debatten als unsittlich, gestrig und unstatthaft gilt, entschieden und engagiert für Gott und Kirche einzutreten. In einem Klima, wo Gipfelkreuze schon als Provokation des säkularen Konsenses und als Störung des moralischen Imperativs Konsum gelten, knicken viele Christen ein und behalten ihren Glauben lieber für sich, als die Öffentlichkeit mit ihrem Bekenntnis zu "provozieren".

Das Schöne und Gute im Alltag

Aber Christ-Sein, den Ritus pflegen und an die "Hochzeit des Lammes" und das ewige Leben zu glauben, sind eben Essenz jedes Christen und keine basisdemokratischen Übungen. Auf dieses Unverhandelbare aufmerksam zu machen, darin liegt die Schönheit dieses Buches. Es ist keine Anklageschrift gegen die Schlechtigkeit der Welt; Mosebach sucht und findet die Schönheit, das Gute und die Gottesgegenwärtigkeit im koptischen Alltagsleben. Während wir verwestlichte Christen uns mit Innerweltlichkeit und Materialismus begnügen und das Leben im Jenseits an sich verleugnen (oder zumindest ignorieren, weil uns die neueste HBO-Serie oder die Champions League emotional näher sind), leben die Kopten den Glauben und die Liturgie der frühen Christenheit. Liturgie bedeutet für die Kopten Herstellung von Wirklichkeit und "Gottesherstellung". Es geht in den Gottesdiensten also nicht um Verkündigung, Belehrungen oder Sozialarbeit, sondern der Gottesdienst soll die Gegenwart Jesu "erzeugen". Das gemeinsame Gebet öffnet mit seinem Rhythmus die Seele der Betenden für die Mysterien und ist somit viel mehr als Mitteilung von Informationen. Wer Gott schauen darf, hat keine Angst mehr vor dem Tod.

Die Kopten nennen sich selbstbewusst Kirche der Martyrer. Und für Gott zu leben und zu sterben heißt, das ewige Leben zu gewinnen und nicht etwa sein Leben wegzuwerfen. Martyrer sind keine Gewalttäter oder Selbstmörder; es sind Christen, die auch unter Todesandrohung nicht bereit sind, ihren Glauben aufzugeben. Christentum ist für sie unabdingbar mit der Bereitschaft verbunden, für den Glauben Zeugnis abzulegen. Den 21 Martyrern, die teilweise Analphabeten waren, galt ein menschliches Leben ohne Glauben an Gott als wertlos. Unmittelbar nach ihrem Tod wurden sie als Ikonen gemalt. In dieser Darstellung werden die 21 bereits als Heilige und Bewohner des Himmels gezeigt.

Eine Frage von Leben und Tod

Mosebach hat die Angehörigen gefragt, wie die Heiligen eigentlich ihr Leben lebten und bekam von den Familien folgende Antworten: Sie wählten bedächtig ihre Worte, sie waren zuverlässig und ehrenhaft, dienten ihren Familien, gaben Almosen, obwohl sie arm waren, sie vermieden Streit, waren verschwiegen, beteten viel und halfen ihren Nächsten. Diese 21 waren auf das Naivste davon überzeugt, dass die Bewahrung und Weitergabe des Glaubens kostbarer ist als die Verlängerung des eigenen Lebens durch einen Kompromiss (Konversion). Wer in der Nachfolge Christi steht, lässt sich nicht wehrlos abschlachten, sondern bekennt sich im Sterben aktiv zu Jesus Christus. Das ist kein postmodernes Sprachspiel, das ist eine Frage von Leben und Tod. Und diese Schönheit des Glaubens zu spüren, zu erleben und mitzufeiern, ist nicht an Wissen, Ausbildung, Schicht oder Belesenheit gebunden, sondern steht jedem Menschen offen, der die Liturgie praktiziert, pflegt und verinnerlicht hat.

Mit diesem tröstlichen Resümee gelingt es Mosebach, auch verweltlichte Christen für die alten und neuen Wunder zu sensibilisieren und ihnen Mut zu machen.

| Der Autor ist Mitarbeiter der Politischen Akademie der ÖVP |

Die 21 Eine Reise ins Land der koptischen Martyrer Von Martin Mosebach Rowohlt 2018,272 Seiten, e 20,-

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