Von Preßburg nach Bratislava und zurück

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Eingedeutschte Namen fremder Städte: Wie sie entstanden, wo sie selbstverständlich sind und wo eine politische Absicht dahintersteckt. Anmerkungen eines Linguisten.

Schlägt man in einem Lexikon bei Immanuel Kant oder Ignaz Semmelweis nach, so erfährt man, dass der berühmte Philosoph der Aufklärung 1724 in Königsberg und der bedeutende Arzt, der die Ursachen des Kindbettfiebers erkannt und moderne Hygienevorschriften eingeführt hat, 1818 in Ofen geboren wurde. In einem heutigen Atlas wird man aber beide Namen vergeblich suchen. Aus Königsberg wurde nämlich Kaliningrad und Ofen ist eine alte deutsche Bezeichnung einer der drei Städte, aus denen Ungarns Hauptstadt Budapest hervorging.

Eigennamen und deren Veränderungen sind Gegenstand der wissenschaftlichen Namenkunde. Eine wichtige Unterabteilung ist die Ortsnamenforschung, die sich mit Toponymen, also Örtlichkeitsnamen bzw. geografischen Namen, befasst. Darunter sind Ortsnamen im weiteren Sinne, also Siedlungsnamen, Hofnamen, Flur- und Geländenamen, aber auch Gewässer- und Flussnamen sowie Bergnamen zu verstehen. Die Aufgabe der sprachwissenschaftlichen Namenforschung ist es, die jeweiligen Namen mit wissenschaftlicher Methode und Systematik in einen sprachgeschichtlichen Zusammenhang zu bringen und ihre sprachliche Herkunft aufzuzeigen. Daneben gibt es freilich auch den Bereich der geografischen bzw. kartografischen Namenkunde, der sich vorrangig mit der länderspezifischen Nomenklatur und den sprachabhängigen Formen und ortsüblichen Verwendungsweisen der jeweiligen Toponyme beschäftigt und letztlich entscheiden muss, welche Namensgestalt in den Karten aufscheinen soll.

Veränderungen bei den Toponymen und auch Umbenennungen und Namenswechsel passieren im Laufe der Sprachgeschichte häufig: Wenn z. B. aus einem italienischen Milano bei der Übernahme ins Deutsche im Hochmittelalter ein Mailan wird, so handelt es sich dabei um eine Lautentwicklung; wenn diese Form aber zu Mailand wird, so ist dies eine Eindeutschung durch volksetymologische Bezüge.

In der wissenschaftlichen Diskussion spricht man hier von Exonym und Endonym. Wenn man das eben besprochene Beispiel zur Illustration der Begriffe verwendet, so ist Milano das Endonym, Mailand das Exonym, genauer: das deutsche Exonym der Stadtbezeichnung. Es gibt für unser Beispiel selbstverständlich noch weitere Exonyme, etwa englisch Milan, spanisch Milán. Unter einem Exonym versteht man also den in einer bestimmten Sprache verwendeten Namen für ein topografisches Objekt, das außerhalb des Gebietes liegt, in welchem diese Sprache gesprochen wird. Somit ist ein Endonym der Name eines geografischen Objekts in einer Sprache, die in demjenigen Bereich gesprochen wird, wo das besagte Objekt liegt. Häufig freilich hat man diese allgemeine Definition um den politischen Status der jeweiligen Sprachen noch präzisiert, sodass oft der Definitionszusatz „in einer Sprache, die in dem Gebiet amtlichen bzw. offiziellen Status hat“ zu lesen ist.

Städte auf Landkarten

Soweit die Theorie, die in dieser strikten Unterscheidung und in der Präferenz von Endonymen vor allem für die moderne Kartografie Relevanz hat, insbesondere bei Karten von internationaler Geltung. In der Praxis freilich, im Bereich der geschriebenen Sprache, etwa der Medien, oder gar der gesprochenen Umgangssprache, werden in der Regel, wenn vorhanden, die adaptierten, gewissermaßen „eingebürgerten“ Namen, also die Exonyme verwendet. Bleiben wir im deutschen Sprachbereich: Insbesondere die größeren und wichtigen Städte, aber auch Länder- und Völkernamen haben zumeist exonymische Pendants. Diese können volksetymologischen Ursprung haben, wie Mailand, aber auch Formen widerspiegeln, die zu einer früheren Zeit ins Deutsche gekommen sind und sich in der Gebersprache lautlich schon weiterentwickelt haben, etwa Neapel, das in dieser Form dem älteren Neápolis (vgl. dazu engl. Naples) näher ist als dem heutigen Napoli.

Viele dieser Exonyme sind dem heutigen Deutschsprecher bzw. -schreiber so geläufig, dass er gar nicht auf die Idee käme, Kopenhagen durch København oder Lissabon durch Lisboa, Moskau durch Moskva oder Peking durch Beijing zu ersetzen; gerade bei fremdartigen Aussprachen bzw. Schriftzeichen oder gar fremden Schriften liegt das Exonym auf der Hand. Hier allerdings handelt es sich um neutrale, mit keinen problematischen Konnotationen (inhaltlichen Begleitmerkmalen) versehene Namen.

Sobald freilich ein besonderer politischer oder heikler historischer Aspekt dazukommt, wird im Zuge der zunehmenden Sensibilisierung und Political Correctness eher das Endonym verwendet. Dies ist gegenwärtig vor allem bei Städtenamen der alten k. k. Gebiete zu beobachten, um imperialistische Attitüden gar nicht erst aufkommen zu lassen; Preßburg weicht zusehends dem slowakischen Bratislava, Zagreb hat mittlerweile die alte Bezeichnung Agram vollständig ersetzt, Ljubljana wird – je nach Affinität zu Slowenien – immer mehr für Laibach verwendet. Doch auch hier gilt: Je älter und „eingesessener“ das Exonym und je schwieriger das Endonym aussprechbar ist, desto stabiler ist die deutsche Namensform. Niemand würde für Prag das tschechische Praha verwenden, auch Brno (Brünn) mit seinem silbischen r ist für Deutschsprachige kaum realisierbar.

Politisch brisante und …

Besondere Sensibilität ist bei brisanten Namen zu beobachten, sei es aus aktuell-politischen, sei es aus historischen Gegebenheiten. In der westlichen Welt würde man das arabische Endonym al-Quds für Jerusalem (hebr. Yerushalayim) mit Ausnahme der mehrsprachigen israelischen Ortstafeln nicht verwenden, ebensowenig wie man nach 1991 noch von Leningrad für St. Petersburg (russ. Sankt-Peterburg) sprechen würde.

Auch deutsche Namen, die mit dem NS-Regime assoziiert werden und in der Propaganda des Dritten Reichs eine Rolle gespielt haben, werden heute vermieden (in Litauen z. B. Kauen für Kaunas, Schaulen für Šiauliai oder auch Memel für die Stadt Klaipeda bzw. den Fluss Nemunas). Trotzdem spielt auch hier der Bekanntheitsgrad eine Rolle, sodass etwa der Name Tilsit – der vom Käse her bekannt ist – dem Endonym Sowjetsk bei weitem vorgezogen wird.

Man muss hier aber zwischen aktuellem Gebrauch und historischer Dimension unterscheiden. Aus geschichtlichem Blickwinkel sind die zu der jeweiligen Zeit gebräuchlichen Namen nicht nur statthaft, sondern sogar die einzig korrekten Namensformen. Kant ist nun einmal in Königsberg und nicht in Kaliningrad oder Królewiec geboren, desgleichen Semmelweis in Ofen und nicht in Budapest …

… ausgestorbene Namen

An manchen Namen nagt aber einfach auch der Zahn der Zeit, sodass sie – wie andere Wörter ja auch – ungebräuchlich werden und allmählich aussterben. Stuhlweißenburg, Fünfkirchen oder Steinamanger sind allesamt schon historische Bezeichnungen für die heute allein üblichen Székesfehérvár, Pécs und Szombathely, jedenfalls im überregionalen Diskurs. Bei mehreren konkurrierenden Endonymen freilich (z. B. ukrainisch Lwiw, russisch Lwow, daneben aber auch weißrussisch Lwou) kann das deutsche Exonym Lemberg trotz seiner historischen Assoziationen aktuell noch eher verwendet werden.

Die wissenschaftliche Beschäftigung mit der gegenständlichen Problematik hat einen ausführlichen Kriterienkatalog erstellt, der vor allem auf den auch hier diskutierten inner- und außersprachlichen Kriterien fußt, die da sind: Struktur bzw. Schreibung des Endonyms, Prestige, Wichtigkeit und Bekanntheitsgrad, historischer Gebrauch, Political Correctness und „Atmosphäre“ sowie individueller Gefühlswert. All das sollte bei einer eventuellen Verwendung von Exonymen berücksichtigt werden.

Zur weiteren Lektüre und für Details: Roman Stani-Fertl: Exonyme und Kartographie. Weltweites Register deutscher geografischer Namen, klassifiziert nach Gebräuchlichkeit und ihrer ortsüblichen Entsprechungen, Wien 2001.

Der Autor ist Vorsitzender der Salzburger Ortsnamenkommission und am Fachbereich Linguistik der Universität Salzburg tätig.

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