Von Sprachhaberern und Habenichtsen

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In jedem Wort steckt ein Ort. Ein Ort, der einem Gedanken Heimat bietet, einem Gefühl, einem Ausdruck. Sprache hat die Präzision chirurgischen Bestecks oder einer stumpfen Axt - dies zu entscheiden, ist Sache derer, die sich ihrer bedienen. Es ist aber wie bei jedem Werkzeug, der rechte Gebrauch will erlernt und geübt sein. Und so wird das, was immer wieder vernehmbar wird, zur Gefahr: die Sprachlosigkeit vieler Jugendlicher. Hier versagt die Gesellschaft. Also wir. Denn hier wird Menschen jenes Werkzeug vorenthalten, mit dessen Hilfe sie ganz konkret ihr Leben verbessern, bereichern, verschönern können.

Bei der Sprache gilt Wortarmut als schichtabgrenzendes Distinktionsmerkmal und wird daher vielleicht sogar von manchen gerne wahrgenommen. Doch die, die sie haben, also die Sprachhaber, sind verpflichtet, sie mit den anderen zu teilen, sie also zu Sprachhaberern zu machen, zu Teilhabern an dem unerschöpflichen Schatz (und keine Sorge, es sind genug Wörter für alle da).

Funktionale Analphabeten

Sprache war immer ein bunt gestreifter Schlagbaum zwischen den Generationen. Das muss so sein, denn sie ist etwas Lebendiges, das ständig nachwächst, sich erneuert, Altes abstreift. Aber wenn die Zahlen stimmen - und es gibt eigentlich keinen Grund, an ihnen zu zweifeln - dann gibt es in unserem Land einige hunderttausend Menschen, die funktionale Analphabeten sind. Die also kein Reisebüroangebot lesen können und keinen Beipackzettel. Die sich mühsamst durch Formulare kämpfen und auf die Hilfe Fremder angewiesen sind, wenn es nur ein bisschen komplexer wird.

Wir schwafeln vom Untergang des Abendlandes in Form der Gutenberg-Galaxis, weil sich Inhalte ins Netz verlagern und "die Haptik verloren geht“. Dabei nehmen wir gleichmütig zur Kenntnis, dass ein nennenswerter Teil der Menschen in Österreich davon de facto ausgeschlossen ist. Zugegeben, die Kindersterblichkeit in Afrika ist ein größerer Skandal. Aber versuchen wir doch einmal, die Welt vor der Haustür ein bisschen zu ändern. Wie wäre es mit einer Alphabetisierungskampagne? Und Worte werden Orte …

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