Von Vaterfiguren und ERSATZKAISERN

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Wer das Amt des Bundespräsidenten als überflüssiges Kasperlamt verspottet, der irrt. Eine Story von Staatsgründungen, An- und Abschlüssen - und von bösen Blicken.

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Wer das Amt des Bundespräsidenten als überflüssiges Kasperlamt verspottet, der irrt. Eine Story von Staatsgründungen, An- und Abschlüssen - und von bösen Blicken.

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Der Schlüssel zur Hofburg

Am kommenden Sonntag wählen die Österreicher ihr neues Staatsoberhaupt. Unspektakulär und nicht wirklich relevant, meinen die einen, während die anderen auf die repräsentative Bedeutung des Amtes hinweisen. Jedenfalls bietet die Wahl 2016 gleich mehrere Premieren. Was hält der amtierende Präsident Heinz Fischer davon- und in welcher Gesellschaft befindet sich die einzige Kandidatin Irmgard Griss? Redaktion: Sylvia Einöder

In seinem Jahrhundertroman "Radetzkymarsch" lässt Joseph Roth seinen Senior-Protagonisten sagen: "Mit großer Anstrengung brachte Herr von Trotta noch die Frage zustande: 'Ich verstehe nicht! Wie sollte die Monarchie nicht mehr dasein?'"

Konnten sich damals tatsächlich nur verwirrte Geister eine Republik vorstellen? Wie jener von Anton Kuh retrospektiv an die Jahreswende 1913/14 montierte Besoffene, der in seiner Neujahrsrede am Heurigentisch die Prophetie "Da gibt's kan Kaiser nimme

mir wer'n republikanisch so wia in der Grafschaft Siam die Dynastie verziagt si mir kriag'n an Präsidenten an Sozi " von sich gab? Jedenfalls befanden sich 1918 viele Rest-Österreicher in einer seltsamen geistig-seelischen Verfassung; paradoxerweise auch so manche, die bis dahin aus nationalistischen oder internationalistischen Motiven die Habsburger am liebsten weggehext hätten. Aber die waren ja ohnehin schon im Exil, und der frühe Tod Kaiser Karls auf Madeira beendete 1922 alle realistischen Ambitionen auf eine Rückkehr der Dynastie. Vorhang auf für die Republik -inklusive Überväter!

Vorkriegscharaktere

Der erste "Sozi" im höchsten Amt war der Lehrer Karl Seitz. Zunächst nahm er gemeinsam mit einem großdeutschen und einem christlichsozialen Kollegen den Job als Staatsratsvorsitzender ein, um dann 1919/20 provisorisch als alleiniges Staatsoberhaupt zu fungieren, übrigens völlig unösterreichisch ohne eigenen Titel. Gemäß der neuen Verfassung wählte die Bundesversammlung 1920 den parteilosen Sozialreformer Michael Hainisch zum ersten Bundespräsidenten, der diese Bezeichnung auch führte. Politische Rechte hatte er nahezu keine, die Regierung wurde damals vom Parlament gewählt. Wie viele österreichischen Bildungsbürger seiner Zeit war der Agrarier Hainisch großdeutsch gesinnt - und er nannte die leistungsstärkste Milchkuh sein eigen: "Bella" sprengte mit ihren prallen Eutern alle Rekorde ihrer Zeit! Dieser erdige Umstand, seine äquidistante Amtsführung und seine professorale Rauschebärtigkeit machten ihn allseits populär. 1928 folgte ihm nach zwei Amtsperioden der christlichsoziale Schuldirektor und langgediente Parlamentarier Wilhelm Miklas nach. Im Jahr darauf wurde die Verfassung geändert, der Bundespräsident bekam mehr Macht, und vor allem sollte er fortan direkt durch das Volk gewählt werden. Dazu kam es vorerst nicht, denn Miklas ließ seinen Parteikollegen, Bundeskanzler Engelbert Dollfuss ab 1933 bei dessen Errichtung einer österreichischen Diktatur gewähren. Der Volksmund charakterisierte Miklas' Machtlosigkeit durch den Witz, er wäre immerhin 1937 rechtzeitig am Brandplatz der Rotunde im Wiener Prater gewesen, und hätte mit den feierlichen Worten "Ich eröffne den Brand der Rotunde!" einen Feuerwehrschlauch durchgeschnitten. Wenigstens weigerte er sich 1938 beharrlich, das "Anschluss-Gesetz" an Hitlers Reich zu unterzeichnen. Das tat dann an seiner statt, nachdem Miklas das Amt am 13. März niedergelegt hatte, der NS-Bundeskanzler Seyß -Inquart. Denn in solchen Fällen ging die Amtsgewalt des Präsidenten auf den Kanzler über; ein Umstand, der in der Verfassung erst 1977 geändert wurde. Hätte Miklas 1933 und 1938 mehr seiner theoretischen Kompetenzen ausnützen können? Welchen Erfolg hätte er wohl damit gehabt?

Das neue Österreich

Mehr Fortune war 1945 dem sozialdemokratischen, und überaus wetterwendigen Juristen Karl Renner beschieden. Er, der neben anderen Prominenten 1938 zum "Anschluss" aufgerufen hatte, konnte 1945 gemeinsam mit Vertretern der neu gegründeten SPÖ und ÖVP und der KPÖ in Wien eine Bundesregierung von Stalins Gnaden bilden. Dass der zwischen Großdeutschtum, Antisemitismus und Marxismus changierende Renner dann 1945 bis 1950 der erste Bundespräsident der Zweiten Republik wurde, ist ein Sinnbild: In seinem Haltungsspektrum war für viele Österreicher etwas dabei

Stoff für Qualtinger &Co.

Nach seinem Tod kam es zur ersten Volkswahl, die den alten kaiserlichen General Theodor Körner an die Spitze brachte. Der besonders elegante Sozialdemokrat (er trug auch im Winter niemals Hut oder Mantel, ging stets "blank") war in der Zwischenkriegszeit Berater der roten Parteiarmee "Republikanischer Schutzbund" gewesen, und 1945 Wiener Bürgermeister geworden. Nur widerwillig nahm er die Wahl zum Präsidenten an, verhinderte 1953 die vom VP-Kanzler Figl gewünschte Regierungsbeteiligung der FPÖ-Vorläuferpartei VdU, und verstarb 1957. Ihn beerbte das rote Urgestein Adolf Schärf, der sich souverän für zwei Amtsperiode gegen bürgerliche Gegenkandidaten wie Denk und Raab durchsetzte. Dafür stellte die ÖVP mit oder ohne Koalition jahrelang den Kanzler.

In den 60ern und 70ern naschten die Bundespräsidenten gerne ein bisschen von der "Weltpolitik", was die Kabaretttruppe um Bronner, Merz und Qualtinger im Sketch "Unser guter Kaiser kommt zurück" drei Alt-Aristos ausrufen ließ: "So wie bisher geht's nimmer mehr / Selbst die Perser halten sich an Schah / Ja ja ! / Und kommt der auf Staatsbesuch her / Wer ist's der den Schah empfangen därf? / Der Schärf!"

Auf Schärf folgte der gelernte Schriftsetzer und Floridsdorfer Edel-Proletarier Franz Jonas, der sich als prononcierter Freidenker testamentarisch die Teilnahme von Geistlichen an seiner Bestattung verbat. Als es dann soweit war, und Jonas 1974 im Amt verstorben war, sah man beim Staatsbegräbnis im Kondukt den Wiener Kardinal König in Offiziersuniform - immerhin war König damals auch Militärbischof

Weniger Berührungsängste mit der katholischen Kirche hatte der bislang populärste Bundespräsident, der bürgerliche jedoch parteifreie Jurist Rudolf Kirchschläger, der - zunächst als Kandidat des schlauen SP-Bundeskanzlers Bruno Kreisky - in seinem behäbig-gütig mahnenden Duktus eher wie ein Kardinal wirkte, während König in der Meinung vieler Zeitgenossen auch einen tauglichen Präsidenten abgegeben hätte.

Amt in der Krise

1986 versuchte man im Umfeld der SPÖ in Koordination mit US-amerikanischen und österreichischen Medien den ÖVP-Kandidaten und Ex-UNO-Generalsekretär Kurt Waldheim wegen dessen - wie gemunkelt wurde - dubioser Vergangenheit als Wehrmachtsoffizier während des Zweiten Weltkriegs zu beschädigen. Obwohl an der Kriegsverbrecher-Story nichts dran war, reagierte der gelernte Diplomat Waldheim derart ungeschickt ("Ich habe nur meine Pflicht getan"), dass er in einer aufgeregten Atmosphäre zwar gewählt wurde, aber dann sechs Jahre weitgehend isoliert blieb. In die nächste Krise schlitterten Amt und Land unter seinem Nachfolger, dem 1992 von der ÖVP aufgestellten Diplomaten Thomas Klestil, der - letztlich wohl mit den Stimmen von VP und FP-Anhängern gewählt - 2000 die sich anbahnende VP-FP-Bundesregierung zu verhindern suchte. Trotz klandestin von ihm gesuchter Unterstützung ausländischer Staatskanzleien wagte Klestil - obwohl er gedurft hätte - nicht, die Zustimmung zur Regierungsbildung zu verweigern. Stattdessen setzte er lediglich bei der Angelobung eine sauertöpfische Miene auf, und Österreich einer wüsten Sanktionenpolitik vieler EU-Staaten aus.

Befriedung trat erst 2004 ein, als der tief im SPÖ-Parteiapparat verwurzeltePolitikwissenschaftler und erprobte Berufspolitiker Heinz Fischer Bundespräsident wurde, und bis auf gelegentliche mahnende Worte an schwarze und blaue Politiker, eindeutige Präferenzen für eine SP-VP-Koalition, und kecke Staatsbesuche bei linken lateinamerikanischen Potentaten im Wesentlichen den unaufgeregten Showman an der Staatsspitze gab.

Wer immer der oder die zwölfte im Bunde wird: Er oder sie wird einem Österreich vorstehen, das im eurasischen Nahbereich von autokratischen Amtskollegen wie Erdogan und Putin, umzingelt ist, und das mit den nervösen Nachbarn Deutschland, Tschechien, Ungarn und Slowakei samt deren verhaltensoriginellem Politpersonal auskommen muss. Er oder sie wird die Hände der Exponenten einer aus dem Ruder gelaufenen EU schütteln und nach innen klarmachen müssen, wie das angesichts der Migrantenkrise in zwei Lager gespaltene Österreich künftig seine Identität definieren soll.

Der Autor ist Historiker, Wissenschaftsredakteur des ORF sowie Buchautor.

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