Von "Wir sind Papst" bis "Oh, mein Gott"

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Nach 482 Jahren der erste deutsche Papst: Verhaltene Reaktionen im Heimatland Benedikt XVI.

Am Tag nach der Wahl Joseph Kardinal Ratzingers zum neuen Papst war es zwei Tageszeitungen vorbehalten, die gegensätzliche Stimmungslage in Deutschland auf den Begriff zu bringen. "Wir sind Papst", jubelt die auflagenstarke Bild, "Oh, mein Gott" setzt die linksalternative tageszeitung auf ihrer tiefschwarzen Titelseite dagegen. Tatsächlich ist von Euphorie, überschwänglichem Jubel, überschäumender Begeisterung nach der Wahl des Landsmannes in Deutschland keine Spur.

Selbstverständlich: Um Beistand von oben für den ersten Papst seit 482 Jahren aus dem Land der Reformation haben Katholiken in ganz Deutschland in den letzten Tagen gebetet. In allen deutschen Bistümern wurden Gottesdienste für den neuen Pontifex abgehalten, Kerzen aufgestellt und Fahnen aufgehängt. Und eine infratest-Umfrage im Auftrag der ard ergab: Mehr als drei Viertel der deutschen Bevölkerung finden es "gut", dass ein Deutscher Papst geworden ist. Dabei spielt eine große Rolle, dass viele so etwas fast auf den Tag genau 60 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs und dem Holocaust für unmöglich gehalten hätten. Von daher empfinden viele Deutsche die Wahl Ratzingers in das höchste Amt der Kirche als endgültige Rückkehr ihres Landes in die weltweite Völkergemeinschaft. Doch nur in Bayern kocht der Stolz auf den ersten "bayerischen" Papst - wie hier stets betont wird - seit 950 Jahren hoch.

Unangenehme Erinnerungen

Die insgesamt gedämpfte Stimmung hat Gründe: In Deutschland sind etliche harte Maßnahmen des bisherigen Präfekten der Glaubenskongregation in unangenehmer Erinnerung. Der Weltkatechismus von 1992 wurde hier vielfach als ein geistig verengtes Sündenregister empfunden. 1994 erteilte Ratzinger den deutschen Bischöfen Walter Kasper (Rottenburg-Stuttgart), Oskar Saier (Freiburg) und Karl Lehmann (Mainz) in ihrem Bemühen um eine Milderung des Kommunionverbotes für wiederverheiratete Geschiedene eine Abfuhr. Der Streit um die deutsche Kirche spitzte sich 1998/99 bei der Anordnung des Vatikans an die deutschen Bischöfe, aus der staatlichen Schwangerschaftsberatung auszusteigen, noch einmal zu. Dann kam im Jahr 2000 das Dokument "Dominus Iesus", das die Einzigartigkeit der katholischen Kirche betonte und den Kirchen der Reformation das "Kirche-Sein" absprach, was in Deutschland für erhebliche Verstimmung bei der evangelischen Kirche sorgte und die Ökumene schwer belastete. Dem Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) warf Ratzinger im September 2000 vor, seine Kompetenzen zu überschreiten und sich immer mehr als eine Art "Gegenlehramt" darzustellen, "weniger gegen die Bischöfe als gegen das Lehramt des Papstes". Gegen den ersten Ökumenischen Kirchentag in Berlin 2003, an dem er selbst nicht teilgenommen hatte, polemisierte Ratzinger im Nachhinein, er sei "konturenlos" und "ein sich selber Feiern und Genießen" gewesen. In einem Brief an die katholischen Bischöfe im Herbst desselben Jahres bestand der damalige oberste Glaubenswächter darauf, dass Mitglieder des aus dem ZdK heraus gegründeten Schwangerenberatungsvereins Donum Vitae keine führende Rolle in katholischen Institutionen einnehmen dürften.

Diplomatische Kardinäle

Trotzdem: Von den deutschen Bischöfen ist in diesen Tagen nur Positives über den neuen Papst zu hören. Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, der Mainzer Kardinal Karl Lehmann, wie Ratzinger ein früherer Dogmatikprofessor, verblüffte wieder einmal viele. Sein Verhältnis zu Papst Benedikt XVI. werde "völlig falsch eingeschätzt", gab der Mainzer Erzbischof zu Protokoll. "Aus x-facher Zusammenarbeit ist viel mehr Gemeinsamkeit geblieben, als die wenigen Streitfälle Trennendes in unser Verhältnis hätten tragen können", so Lehmann wörtlich. Er habe den neun Jahre älteren Joseph Ratzinger immer als einen "genialen Theologen" verehrt; allerdings habe es später bei wenigen Fragen in der pastoralen und kirchenpolitischen Einschätzung Akzentunterschiede gegeben. Zugleich kündigte Lehmann an, er werde von Deutschland aus den "spannungsvollen Dialog" mit dem neuen Bischof von Rom suchen.

Ähnlich diplomatisch wie Lehmann äußerte sich Kardinal Walter Kasper, der mit Ratzinger in der Vergangenheit manchen theologischen Strauß ausgefochten hatte. Der Präfekt des Päpstlichen Rates für die Einheit der Christen forderte, Benedikt XVI. eine Chance zu geben, seine Ideen zu präsentieren. Er sei sicher, dass der neue Papst schon bald Zeichen setzen werde; man solle ihn nicht voreilig "in eine Schublade stecken".

Aus dem ZdK kommt nur verhaltenes Lob für den neuen Papst. Mehrere Frauenverbände drängen ihn zu Reformen in der Kirche. "Frauen müssen Diakoninnen werden können", fordert Magdalena Bogner, Präsidentin der Katholischen Frauengemeinschaft Deutschlands (kfd), des mit über 650.000 Mitgliedern größten katholischen Verbandes.

Das Urteil der Professorenkollegen an Ratzingers ehemaligem Wirkungsort Münster, wo er von 1963 bis 1966 als Dogmatikprofessor lehrte, ist nicht einheitlich. "Joseph Ratzinger ist für Überraschungen gut", sagt Johann Baptist Metz. Metz, einer der führenden Theologen in Deutschland und eine Zeit lang auch Professor in Wien, zählte als junger Mann wie Ratzinger zu den Beratern beim Zweiten Vatikanischen Konzil. Der 76-jährige machte seine ganz speziellen Erfahrungen mit Ratzinger: Im Jahr 1979 hatte der damalige Münchner Erzbischof seine Berufung als Professor an die Universität der bayerischen Landeshauptstadt verhindert. Das hinderte die beiden berühmten Theologen nicht daran, viele Jahre später wieder den Dialog aufzunehmen.

Ebenso voll wie in Münster waren die Vorlesungen Ratzingers in Tübingen, wohin er 1966 wechselte - ein Jungstar der Theologie und ausgewiesener Reformer, der mit seinem brillanten Vortragsstil Massen von Studenten in die Hörsäle lockte. Doch obwohl er als aufgeschlossen und fortschrittlich galt, wurde er stärker als andere zur Zielscheibe der Proteste, als die alte Universitätsstadt sich 1968 zu einem Zentrum der Studentenbewegung entwickelte. Rote Rollkommandos stürmten seine Vorlesungen, grölende Studenten schrien ihm ins Gesicht und hinderten ihn am Unterricht - ein traumatisches Erlebnis, wie sein damaliger Kollege Hans Küng meint. Ratzinger resignierte und ging schon nach drei Jahren an die ruhigere Universität in seiner Heimatstadt Regensburg.

"Brillant umdenken!"

Bernd Jochen Hilberath, wie einst Ratzinger Dogmatikprofessor in Tübingen, gibt als einer der wenigen deutschen Professoren offen seine Enttäuschung zu erkennen: Die Kardinäle hätten mit ihrer Wahl eine Chance verpasst, meint Hilberath. Die Tatsache, dass ausgerechnet dieser Deutsche Papst geworden sei, sei für die Ortskirche, aus der er kommt, kein gutes Omen. Hilberath wörtlich: "Doch nun müssen wir mit dem Papst leben, den wir haben."

Andere bedeutende deutsche Theologen raten dazu, abzuwarten und dem neuen Papst erst einmal eine Chance und die sprichwörtlichen ersten 100 Tage einzuräumen. Dazu gehört sogar so ein kritischer Geist wie Hans Küng, der andererseits von einer "Riesenenttäuschung" spricht. Der Ratzinger-Schüler Wolfgang Beinert, Dogmatiker in Regensburg, sagt voraus, am Ende des Pontifikats werde man sehr viel von Änderungen reden. Beinert : "Wer brillant denken kann, der kann auch brillant umdenken."

Der Autor lebt als freier Journalist in Münster.

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