Zugvögel

Jehuda Bacon: "Vor allem ist der Mensch Hoffnung"

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Der Theologe und Mediziner Manfred Lütz hat seine Gespräche mit dem israelischen Künstler und Auschwitz-Überlebenden Jehuda Bacon in Buchform wiedergegeben. Es ist ein eindrucksvolles Dokument innerer Unbeugsamkeit und religiös fundierter Zuversicht.

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Der Theologe und Mediziner Manfred Lütz hat seine Gespräche mit dem israelischen Künstler und Auschwitz-Überlebenden Jehuda Bacon in Buchform wiedergegeben. Es ist ein eindrucksvolles Dokument innerer Unbeugsamkeit und religiös fundierter Zuversicht.

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Das vorliegende Buch fällt aus der Reihe der bisherigen Publikationen des Arztes, Psychologen und katholischen Theologen Manfred Lütz. Diese galten "Gott" ("Eine kleine Geschichte des Größten"), der Kirche ("Der blockierte Riese") ebenso wie Zeitgeistphänomenen (Therapie-,Diät- & Gesundheits-,Glückswahn etc.), welche der Bestseller-Autor lustvoll und gekonnt aufs Korn nahm. Dieses Buch aber ist anders. Seit er seinem Gesprächspartner, dem israelischen bildenden Künstler und Auschwitz-Überlebenden Jehuda Bacon, begegnet ist, "lebe ich anders", ist "mein Leben ein bisschen heller geworden", bekennt Lütz im Vorwort.

In zehn Kapitel hat der Autor die Gespräche gegliedert. Sie kreisen letztlich um die Grundfragen des Menschen vor dem Hintergrund des Grauens, welches Bacon erfahren hat. "Was ist für Sie der Mensch?" fragt Lütz. Und Bacon antwortet: "Ein eigenartiges Experiment. Vor allem ist der Mensch Hoffnung, Hoffnung wie die Jugend auf Besseres, aber auch Hoffnung, dass er vielleicht den Ursprung findet, Gott, dem er nachgebildet ist. Denn dazu ist er geschaffen."

Frei von Verbitterung

Jehuda Bacon wurde 1929 in Ostrava (Mährisch-Ostrau) in eine chassidische Familie geboren. 1942 wurde die Familie nach Theresienstadt deportiert, ein Jahr später nach Auschwitz. Sein Vater wurde dort 1944 vergast, Mutter und Schwester kamen ins KZ Stutthof (nahe Danzig), wo sie zwei Wochen vor der Befreiung verhungerten. Jehuda überlebte indes nicht nur Auschwitz, sondern auch die Todesmärsche von Auschwitz nach Mauthausen sowie von dort nach Gunskirchen -bis er am 5. Mai 1945 befreit wurde.

1946 emigrierte er nach Israel und studierte an der Kunst-Akademie in Jerusalem, wo er später über dreißig Jahre lang lehren sollte. 2013 wurde Jehuda Bacon für seine Verdienste um die deutsch-israelische Versöhnung und den jüdisch-christlichen Dialog mit dem Bundesverdienstkreuz am Bande der Bundesrepublik Deutschland geehrt. Heute lebt er mit seiner Frau Leah in Jerusalem.

Manfred Lütz hat Jehuda Bacon eher zufällig im Zuge einer Israel-Reise mit Jugendlichen kennengelernt. Aus der Begegnung erwuchs die Idee zum vorliegenden Buch. Was Lütz an Bacon so beeindruckt hat, überträgt sich auch auf die Leser dieses Bandes: die unglaubliche Lebensweisheit, die tief verwurzelte heitere Gelassenheit, der jede Verbitterung fremd ist. "Wir wussten, dass wir vernichtet würden, aber ich wusste auch, es gibt etwas, das nicht vernichtet werden kann, das bleiben wird." Es sind Sätze wie dieser, welche die Grundhaltung Bacons - für die das Wort "Optimismus" zu oberflächlich erscheint -zum Ausdruck bringen. Befragt, was er dem Lagerarzt von Auschwitz, Josef Mengele sagen würde, antwortet Bacon: "Ach wahrscheinlich:'Wie schlafen Sie nachts?'". Und, bemerkenswerter noch: "Ich würde ihn nicht zum Tode verurteilen, sondern ich würde ihn zwingen, seine Biografie zu schreiben, damit das einen Sinn hat für andere Menschen."

Manches in dem Buch ist ein wenig redundant - immer wieder kehren die selben Gedanken in Frage und Antwort wieder. Aber die Unmittelbarkeit des Gesprächs entschädigt dafür. Ganz zentral sind religiöse Fragen - über die Bacon mit großzügiger Weite und Selbstverständlichkeit spricht. Freilich werden ihm nicht alle folgen wollen, wenn er mehr oder weniger die Möglichkeit des Atheismus bestreitet. Das sei so, wie wenn jemand sage: "Ich liebe meine Kinder nicht"; das passiere. "Das heißt, manchmal sagt man einen ganz großen Blödsinn "

Fern ist Bacon andererseits jede Form des Fundamentalismus oder auch einer bloß äußerlichen, demonstrativ zur Schau gestellten Glaubensgewissheit. Auch in religiösen Dingen spiegelt sich die oben erwähnte gelassene Zuversicht wider. Bisweilen hat man den Eindruck, der Frager würde sich mehr an Konkretion, an Deutlichkeit wünschen, versuchte "mehr" aus seinem Gesprächspartner herauszuholen. Doch besticht gerade -den Leser wie wohl auch den Interviewer -, wie Bacon mit seinen Antworten immer wieder überrascht. Was er Gott fragen werde, wenn er im Himmel ankomme: "Oh, erstens bin ich nicht sicher, dass ich da ankomme." Was zweitens ist, bleibt offen.

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