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Hurra, die Schul' ist aus" - so haben die Buam und Madln zu meiner Jugendzeit geschrien und aufgeatmet, wie nach einem Gewitter. Der Druck war weg und das Zeugnis doch nicht so schlecht wie erwartet. Man hatte, sogar wenn man einen Nachzipf absolvieren mußte, ein paar Wochen Ferien vor sich. An Selbstmord wurde nur selten gedacht, erst Fritz Torberg hat das thematisiert. Gab es damals keine gestreßte (den Begriff kannten wir natürlich noch nicht) Jugend? Keine zu betreuenden Zöglinge? Keine Desparaten? Das würde mich wundern. Denn als wir in die Schule kamen (ich ins R VII in der Neustiftgasse in Wien) hieß es, von den 42 heute hier erschienenen Schülern werden höchstens 25 Matura machen. Wir werden genau aussieben, denn Österreich braucht nicht so viele Akademiker. So sprach Professor Schwenke (Deutsch und Geschichte), einer der wenigen humanistisch gesinnten Lehrer. Wirklich maturiert haben dann letztlich 21, neun davon sind im Zweiten Weltkrieg gefallen.

Oh, es war eine bedrückende Zeit, so um die Dreißiger herum. Direktor war Rudolf Zdenek (genannt der "Rote Rudi"), Dr. Ungar (Jude) mußte emigrieren, unterrichtete Mathematik, der stramme Professor Vorreiter Steno und Leibesübungen, Professor Holzer, streng Christlich-Liberaler, Naturgeschichte, und der großartige Chemiemensch hieß Dr. Berny. Gegrüßt wurde ab der Dritten mit "Heil Österreich", die Lehrer trugen das rotweißrote Band der Vaterländischen Front, G'wissenswurm genannt, im Knopfloch, in der Brieftasche aber meist schon das Parteibuch der NSDAP. Nur beim Katecheten Dr. Pischinger und seinem jüdischen Amtskollegen Dr. Haber konnte man sicher sein, daß sie nicht tätig in Braun waren.

Wissen heute auch alle Schüler, welcher Profax was denkt? Ich hoffe nicht, denn das bedrückt, macht nervös und unsicher. Franz Spunda, der deutschnationale Antisemit, der rote Berny, der weltoffene Musiklehrer Leo Lehner und Holzmann, der einarmige Recke, alle, alle ließen erkennen, wie sie dachten. Alles war vertreten, jede Idee, nur die offizielle Meinung, die ständestaatlich patriotische, war kaum auszumachen. Politik war vor Fußball, Theater und Pfitschigogerl das Thema Nummer Eins. Dollfuß, Bauer, Deutsch und Hitler, Hitler, Hitler. Von den einen ersehnt, den anderen verabscheut und gefürchtet. Sinus cosinus Hitler - Rückert, Kleist, Mörike - Hitler.

Kein Heine, kein Remarque, kein Thomas Mann, aber Hitler. Und über allem die strenge, unnahbarbare, bärtig-zugeknöpfte Professorenschaft, die auf die Schüler herabblickte, wie auf dienende Leibeigene. Schwarzer Arbeitsmantel, steifer Kragen, vollbärtige Eitelkeit, und wir zitterten und stuckten mit Schweiß auf der Stirn, ohne Berater, ohne Psychiater, alleingelassen. Selten ein gutes Wort oder ein verstehendes Lächeln und trotzdem mußten wir strebern und strebern, denn das Schulgeld war hoch und das Ziel weit, weit weg.

Heute - nein heute wissen sie nicht wie gut, wie leicht sie es haben, und klappt es nicht, sind die Lehrer schuld. Ich verstehe die Jungen, aber Mitleid haben müssen wir mit ihnen nur in den seltensten Fällen, denn mit ein bissel mehr Einsatz ist es zu schaffen. Und dann - ja dann Ferien, Sonne, Freizeit und bitte viel Lesen, damit das Hirn nicht aus dem Training kommt, denn das nächste Semester beginnt in zwei Monaten.

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