Vormarsch der gezielten Desinformation

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In den USA kommen auf einen Journalisten 4,6 PR-Berater. Ein plastisches Beispiel für das Missverhältnis zwischen jenen, die für seriöse Information sorgen wollen/sollen, und denen, die dies im Sinne ihrer Auftraggeber tunlichst zu vernebeln suchen.

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In den USA kommen auf einen Journalisten 4,6 PR-Berater. Ein plastisches Beispiel für das Missverhältnis zwischen jenen, die für seriöse Information sorgen wollen/sollen, und denen, die dies im Sinne ihrer Auftraggeber tunlichst zu vernebeln suchen.

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Die Bullshit-Daten-Woge nimmt überhand, und jetzt ist es an uns, herauszufinden, wie wir von ihr nicht fortgeschwemmt werden." Namhafte Wissenschaftler teilen inzwischen diese Sorge des Softwarearchitekten der New York Times, Jacob Harris. In einem Beitrag für das Nieman Journalism Lab der Harvard University beschrieb er kürzlich, wie sich in unseren westlichen Demokratien das Machtverhältnis zwischen Journalismus und Desinformations-Quellen verschiebt.

Einer Statistik des U.S. Department of Labor zufolge kommen inzwischen in Amerika auf einen Journalisten 4,6 PR-Experten, und letztere verdienen auch pro Kopf 40 Prozent mehr. Schon diese Zahlen legen den Schluss nahe, dass im öffentlichen Diskurs eigeninteressiert-positive Selbstdarstellung die kritische Nachfrage und Recherche immer mehr verdrängt.

Journalisten haben im Diskurs verloren

Ein weiteres Alarmsignal hat uns dazu soeben aus Italien erreicht: Medienforscher haben dort genauer unter die Lupe genommen, wie sich in sozialen Netzwerken wie Facebook blanker Nonsens und Verschwörungstheorien ausbreiten - im Vergleich zu halbwegs verlässlicher oder gar wissenschaftlich "geprüfter" Information. Ein Forscherteam um Walter Quattrochiocchi (Institute for Advanced Study, Lucca) hat zu diesem Zweck einen Korpus von über 270.000 Postings auf 73 Facebook-Seiten analysiert. Das ernüchternde Fazit: Offenbar haben jene Forscher, Journalisten und auch Pressesprecher, die altmodisch als Aufklärer unterwegs sind, kaum mehr eine Chance gegen gezielte oder geschrotete Desinformation, gegen das Tempo und auch die Intensität, in der sich Unfug herumspricht, also "geliked" und "geshared" wird. Zwar haben Journalisten, die sich um "Wahrheitsfindung" und um ein ausgewogenes Urteil bemühen, im hochpolitisierten italienischen Kontext zwar seit jeher einen schweren Stand, aber durch die sozialen Netzwerke geraten sie vollends ins Hintertreffen.

Über die Faktenlage sind sich auch bei uns und im angelsächsischen Sprachraum die Medienforscher weithin einig: Die "Mainstream-Medien" und mit ihnen seriöse Journalisten sowie PR-Experten, die sich redlich um wahrheitsgemäße Information bemühen, haben ihre Rolle als dominierende Schleusenwärter in der Öffentlichkeit und damit im gesellschaftlichen Diskurs verloren. Kontrovers diskutiert wird hingegen weiterhin, welche Folgen das für die Gesellschaft hat. Internet-Gurus wie James Surowiecki und Clay Shirky, die an Schwarmintelligenz und an das Veränderungspotential der Vielen glauben, stehen Skeptikern gegenüber, die befürchten, dass Spin-Doktoren, Trolle und schlicht der Pöbel in den sozialen Netzwerken und Kommentaren schon lange die Vorherrschaft übernommen haben und es eben auch Schwarmdummheit gibt.

Wahrnehmungsunterschiede

Interessant ist in der Diskussion um Einfluss auf die Öffentlichkeit nicht zuletzt auch, wie sich jene beiden Berufsgruppen sehen, die weiterhin als Profis zu einem erheblichen Teil den öffentlichen Kommunikationsprozess steuern: Journalisten und PR-Experten. In Wien haben dazu Thomas Koch, Magdalena Obermaier und Claudia Riesmeyer (alle Universität München) kürzlich eine Studie präsentiert, die beide Berufsgruppen vergleicht. Die Forscher zeigen dabei auf, wie krass sich die wechselseitige Wahrnehmung unterscheidet. So empfinden nur rund ein Viertel der Journalisten die Beziehung zu PR-Leuten als "eng" und knapp 40 Prozent von ihnen als "vertrauenswürdig", während jeweils fast doppelt so viele Öffentlichkeitsarbeiter diese Prädikate vergeben. Knapp die Hälfte der PR-Experten glauben realistischerweise, dass sie einen "großen Einfluss" auf journalistische Arbeit haben, aber nur knapp 20 Prozent der Journalisten wollen das wahrhaben. Nicht einmal ein Drittel der Journalisten konzedierte, dass ihre Arbeit "viel schwieriger" wäre ohne PR-Zulieferungen; diese Sichtweise bestätigten dagegen die befragten PR-Leuten mit einer satten Zwei-Drittel-Mehrheit.

Am größten wird die Kluft bei der Frage, auf welchem Weg Beeinflussung stattfindet. "Mit Argumenten", meinen 90 Prozent der PR-Leute, aber nur knapp 20 Prozent der Journalisten; "indem sie Anzeigen schalten", mutmassen ein Drittel der Journalisten, dagegen weniger als 20 Prozent der Öffentlichkeitsarbeiter.

Miserable Selbsteinschätzungen

Man muss kein Verhaltensökonom oder Sozialpsychologe sein, um aus diesen Zahlen herauszulesen, wie miserabel es offenbar um die Selbsteinschätzung in beiden Berufsgruppen bestellt ist, wie sehr sie der Illusion frönen, "alles unter Kontrolle" zu haben, und wie systematisch sich vor allem Journalisten verkalkulieren, wenn sie die Einflussmöglichkeiten von PR-Experten, aber auch von Trolls und anderen Meinungsmachern bewerten.

So krass, wie sich das Machtverhältnis zwischen den Redaktionen und den unüberschaubar vielen neuen Mitspielern in der öffentlichen Arena verschiebt, besteht begründeter Verdacht, dass unsere Aufmerksamkeits-Ökonomie sich in eine Desinformations-Ökonomie verwandelt. Weil traditionelle, um Wahrheitsfindung bemühte Gatekeeper wie Journalisten und Wissenschaftler an Einfluss verlieren, wird es in der Konkurrenz um öffentliche Aufmerksamkeit nicht nur einfacher, Desinformation zu streuen, sondern es rechnet sich auch immer mehr für Akteure, die das gezielt tun -sei das Putin im Krieg mit der Ukraine, seien das die Kreationisten im Umgang mit der Menschheitsgeschichte oder Impfgegner, die uns den Schutz gegen Masern und Pocken vermiesen wollen.

Der Autor ist Kommunikationswissenschafter an der Universität Lugano (CH)

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