Vorschein auf ein Theater der Zukunft

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Die Produktion „Notre terreur“ von Sylvain Creuzevault ging heuer als Sieger beim Young Directors Project der Salzburger Festspiele hervor.

„Wir fördern Charaktere“, so formuliert Thomas Oberender das Ziel des Young Directors Projects, das seit dem Jahr 2002 zum festen Bestandteil der Salzburger Festspiele zählt. Hier bekommt das junge, unabhängige, wilde Theater seine Öffentlichkeit. Nicht das Bewährte, gut Abgehangene wird aufgeführt, sondern unabhängige Theatergruppen, in denen sich möglichst der unbedingte Wille zur Freiheit bemerkbar macht, erhalten ihre Chance. Der internationale Charakter blieb in diesem Jahr auf Europa beschränkt. Nicht um ein Höchstmaß an Perfektion und Durchdachtheit geht es, sondern um einen Vorschein auf ein mögliches Theater der Zukunft. Dass diese Produktionen etwas über Tendenzen der jungen Szene aussagen, bestreitet Oberender. „Ich wüsste nicht zu sagen, welchen Trends das junge internationale Theater momentan folgt.“ Finanziert wird das Unterfangen von der Firma Montblanc, die auch den Preis für die beste Regie stiftet: 10.000 Euro und ein Exemplar des Montblanc-Max-Reinhardt-Pen.

Schlacht der Gesinnungen

Vier Produktionen standen zur Wahl, über den Preis freuen durfte sich Sylvain Creuzevault aus Frankreich. Mit seiner Truppe erarbeitete er das Stück „Notre Terreur (Im Bann des Schreckens)“, in dem der Urknall der Geschichte der europäischen Demokratie, die Französische Revolution, abgehandelt wird. Über eine lange Strecke wurde man das Gefühl nicht los, dass Creuzevault an eine Tradition anknüpft, für die im deutschen Theater ein Name wie Peter Weiss einsteht. Das Team arbeitete sich durch die Archive des staatlich legitimierten Terrors. Auf der Bühne stellte es die Konflikte der Starrevolutionäre nach. Sie zerfleischten einander, hatten keine Ahnung, wie eine neue Ordnung nach dem Zerfall der alten aussehen sollte, und redeten sich darüber die Köpfe heiß. Das ist intellektuelles Theater, weil eine Schlacht der Argumente, Meinungen und Gesinnungen stattfindet. Robespierre und Saint Just können nicht miteinander, weil ihre Vorstellungen von der Zukunft gar zu unterschiedlich geartet sind.

Assoziatives Geplänkel

Sylvain Creuzevault ist ein Charakter, wie ihn sich Thomas Oberender nur wünschen kann. Er steht mit Haut und Haaren hinter seinem Projekt, der Gedanke, dass er ein Publikum mit rhetorischen Hochgeschwindigkeitsexzessen überfordern könnte, kommt ihm nicht. Aber am Ende fließt Blut. Dann gönnt er den Zuschauern das Spektakel, das die Französische Revolution mit ihren öffentlichen Hinrichtungen ja auch war.

Nicht verwunderlich, dass Angela Richter mit ihrer Inszenierung von Jon Fosses „Tod in Theben“ keine Chance hatte. Sie entfernte sich bald von der strengen Textvorlage, um ein assoziatives Geplänkel der Schauspieler, reichlich albern, als Kunst zu verkaufen. Weniger Ödipus und Antigone auf Kolonos, nicht die Zerstörung einer Familie aus dem Geist der Antike, sondern Zeitgeistiges. Weil das so nicht ausgemacht war, sahen sich die Salzburger Festspiele dazu veranlasst, Zusehern, die sich geprellt fühlen könnten, ein Geld-zurück-Angebot zu unterbreiten.

Leider muss gesagt werden, dass auch „Mary Mother of Frankenstein“ des Belgiers Claude Schmitz gescheitert ist. Im Halbdunkel kommen die Geister der Mary Shelley, die sie rief und nicht mehr los wird. Geheimniskrämerei statt Seelenerkundung.

Die „Innenschau“ des Schweden Jakop Ahlbom mit seiner niederländischen Theatertruppe will einen Blick in das menschliche Unbewusste und seine Abgründe bieten. Vorherrschend sind dabei Bewegung bis hin zur Akrobatik, perfekt choreografierter Tanz, magische Tricks und Livemusik. Das Stück kommt ohne Sprache aus und lässt dadurch der Interpretation aber auch einer gelegentlichen Beliebigkeit einen weiten Spielraum.

Die „Innenschau“ bietet die männliche Perspektive. Sie gleitet manchmal ins Klischeehafte, wenn ein Bett zu einem riesigen aufblasbaren Torso (wie könnte es anders sein) wird, in dessen Vagina man(n) bequem hineintanzen kann.

Fulminante Bilderflut

Der Witz bleibt allerdings auch nicht auf der Strecke – er ist nicht immer originell. Aus einem Kasten kommt nämlich nicht nur ein einzelner darin versteckter Liebhaber, wie es so oft passiert, sondern deren unzählige. Dieses biedere Möbelstück musste ja nicht zum ersten Mal heimliche Begierden verbergen. Ahlbom verleiht ihm sogar magische Kräfte, denn er kann dem Zuschauer auch in puncto tänzerische Bewegung einiges bieten. Das Thema Eifersucht, Erotik, Sexualität und die damit bühnenwirksam verbundene Gewalt sind die Leitmotive für die Aneinanderreihung einer fulminanten Bilderflut, die Wünsche, Ängste und Begierden, Mögliches und Unmögliches aneinanderreiht. Ein roter Faden stellt Verbindungen zwischen der Wirklichkeit und dem Unterbewussten her. Die Geschichte ist ganz einfach, sie ist ein Krimi mit Unterhaltungswert: Ein eifersüchtiger Mann stellt fest, dass nicht alles nach Plan abläuft. Das lässt er nicht zu, und am Ende gibt es die weibliche Leiche.

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