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Biedermeierliche Story, herrliche Melodien, zuckersüßes Erscheinungsbild: Flotows "Martha" an der Wiener Volksoper wie vor 100 Jahren.

Endlich wieder!" Kaum ein Pausengespräch im Foyer der Wiener Volksoper, in dem nicht diese beiden Worte fielen. Erlöst aufatmende und vor Glück strahlende Opernfreunde genossen sichtlich und hörbar Friedrich von Flotows "Martha", die erste Premiere unter dem neuen Intendanten Rudolf Berger. Von ihm hatte man sich ja nach dem Ende der glücklosen Direktion Dominique Menthas den großen Sprung rückwärts ersehnt - und Berger enttäuschte seine Gemeinde nicht: Endlich wieder schöne historische Kostüme. Endlich wieder eine Handlung, so wie sie auch im Opernführer steht. Endlich kein Regisseur, der sich wichtig nimmt und die Oper in irgendeinen gegenwärtigen Kontext stellt. Endlich wieder Oper, so wie sie gehört!

Ob Oper wirklich so gehört, sei dahingestellt. Diese "Martha" hätte jedenfalls, so wie sie ist, genauso gut vor 50 oder 100 Jahren über die Bühne gehen können. Das Werk, das deutsche Romantik, französische Komik und italienische Melodik in sich vereint, war im 19. Jahrhundert extrem populär, kam jedoch in den letzten Jahrzehnten aus der Mode. Zu melodieselig die Komposition, zu rührselig die Geschichte.

Die Zeiten solcher verkopfter Urteile sind an der Volksoper jedoch vorbei. Regisseur Michael McCaffery und Dirigent Tomas Netopil schöpfen in punkto Seligkeit hemmungslos aus dem Vollen. Wer das liebt oder zumindest keine Berührungsängste hat, der wird diese "Martha" lieben: eine gut gemachte, stimmige Aufführung, in der das zuckersüße Erscheinungsbild mit den herrlichen Melodien und der biedermeierlichen Story perfekt harmoniert. Dazu kommt noch ein tadelloses erstes Paar: Alexandra Reinprecht (Lady Harriet/Martha) und Ismael Jordi (Lyonel), die beide über stimmlichen Schmelz und tadellose Technik verfügen.

All das, was nicht zu sehen und zu hören ist, kann jedoch nicht unerwähnt bleiben: In "Martha" geht es letztlich um Klassenunterschiede - gelangweilte englische Lady mischt sich unters einfache Volk, verpflichtet sich am Markt als Dienstbotin, verliebt sich unstandesgemäß in ihren "Herren", der sich zum Glück am Ende als Adelsspross entpuppt. Happy End.

In der Inszenierung findet sich nicht der klitzekleinste Hinweis auf die sich im England jener Zeit entwickelnde "working class" oder auf die zur Zeit der Uraufführung von "Martha" (1847) in der Luft liegende vorrevolutionäre Stimmung. Die Volksoper zeigt den Dienstbotenmarkt als ländliche Idylle mit grüner Wiese, blauem Himmel und rosa Blüten. Wie brutal es auf diesen Märkten zuging, auf denen sich Menschen regelrecht verkauften, hat der Maler William Hogarth festgehalten - nachzuschauen übrigens im Programmheft. Kurioserweise ist dort auch folgender Satz zu finden: "Die Regie ist das Wichtigste bei jeder Aufführung." Wer das zu behaupten wagte? Friedrich von Flotow.

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