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Rohan Candappa schrieb die Autobiografie eines Einjährigen.

Die Menschen, die ihre Autobiographie zu Papier bringen, werden auch immer jünger. Furchtbar, oder? Worüber um Gottes willen wollen die groß schreiben?" Sprach's und schrieb die Autobiografie eines Einjährigen: "So seh ich das".

Rohan Candappa bzw. sein Ich-Erzähler befleißigt sich eingangs der guten alten Tradition, das eigene literarische Schaffen kritisch zu betrachten, sich beim Leser vorweg zu entschuldigen und ihm damit den Wind aus den Segeln zu nehmen ... Nun ja, nicht ganz. Denn der Erzähler ist so von seiner Bedeutung überzeugt, von seinen ungeheuerlichen geistigen Fähigkeiten und seinem überaus interessanten Alltag, dass er sein Vorhaben kaum rechtfertigen muss, wie wir alsbald erfahren: "Mein Buch ist da natürlich etwas anderes. Es gibt in meinem Leben unendlich viel, worüber sich zu schreiben lohnt. Ich widme mich nämlich der schwierigen Aufgabe, den ausschweifenden Lebenshunger der betriebsamen Monate zwischen dem ersten und zweiten Geburtstag zu beschreiben, in denen der erwachende Geist alle Naslang auf neue Erfahrungen und aufregende Entdeckungen trifft."

Und tatsächlich: die philosophischen Ergüsse frühester Jugend entbehren keineswegs einer gewissen Weisheit, zumal das Buch auch anschaulich und lebendig eines der wichtigsten Lehrjahre seines Helden nachzeichnet. Ein richtiger Entwicklungsroman also. Und alle Achtung: der Protagonist entwickelt sich rasend schnell. Außerdem werden wir mit so aufregenden Entdeckungen konfrontiert wie Wauwau, Aa (ein existenzbestimmendes Phänomen in diesem Alter) oder Wauwau-Aa, weiters Türen, die beißen, und Bäume, die ein Mal im Jahr nicht dort stehen, wo sie hingehören. Fragt sich nur: Warum stellen wir dann nicht einfach die Couch in den Garten? Möglichweise, weil es zu kalt dafür wäre im Dezember.

Ja, und nicht zu vergessen die psychosozialen Studien über Haargesicht und Glattgesicht, jene seltsamen Wesen, die - manchmal auch Eltern genannt - im Allgemeinen ganz brauchbare Bedienstete darstellen. Wichtig ist nur, ihnen immer wieder vor Augen zu führen, wer der Herr im Hause ist. Und sie mit allem notwendigen Nachdruck auf Menschen- und insbesondere Babyrechte hinzuweisen - denn es geht ja wohl wirklich nicht an, dass ein freier Mensch in einem demokratischen Land Nacht für Nacht hinter Gittern schläft und noch nicht einmal selbst entscheiden kann, wann er sich zur Ruhe zu begeben wünscht. Eine Zumutung!

So manche zunächst aufs Schärfste verdammte Einrichtung im Zimmer unseres Erzählers entpuppt sich bei näherer Betrachtung aber als durchaus lobenswert - man lernt eben nie aus. So verhielt es sich etwa bei jenem Gerät, das versteckt zwischen den Teddybären im Regal, auf den ersten Blick den Verdacht aufkommen ließ, es handle sich hier um einen perfiden Lauschangriff. Doch bevor noch Amnesty International zum Einschreiten bewegt werden kann, klärt sich die Chose: Mitnichten ist das Zimmer verwanzt, es geht keinesfalls darum, die Privatsphäre zu stören, im Gegenteil: das elektronische Kästchen hilft sogar dabei, die Machtposition in der Familie auszubauen, denn ein beherztes distiguiertes "Wäh" am Morgen reicht bereits aus - und da kommen sie schon angelaufen, um nasse Windeln zu wechseln, das Frühstück zu bereiten oder einfach zu kuscheln. Was will man mehr?

Es gehört allerdings eine tüchtige Portion strategischen Denkens dazu, Haargesicht und vor allem Glattgesicht den ganzen Tag zu beschäftigen und bei Laune zu halten. Mit sich selbst können sie ja leider ebensowenig anfangen wie mit echten Spielsachen. Man muss sich also stets was Neues einfallen lassen. Messer, Vasen oder die Fernbedienung des Videorecorders haben sich sehr bewährt, um Erwachsene zum Mitspielen einzuladen, aber am besten funktioniert es mit dem Essen: die Skala reicht vom Treffer auf die Hand des Fütterers (4 Punkte) bis zu Treffern auf die Kleidung oder ins Auge des Fütterers (bis zu 51 Punkten), wobei der Score anschließend mit dem Allgemeinen Kleider-Bewertungsindex (AKBI) verrechnet wird. Höchste Punktezahlen bringen Kaschmir oder Seide. Mahlzeit und viel Vergnügen beim besten Spiel der Welt! Ja, und Wääääh, natürlich auch noch viel Spaß beim Lesen!

SO SEH ICH DAS

Autobiografie eines Einjährigen

Von Rohan Candappa

Aus dem Engl. von Stefanie Schaeffler

Europa Verlag, Hamburg 2003

270 Seiten, geb., e 18,40

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