Wählen für Anfänger

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So viel Wahlfreiheit hatten wir schon lange nicht. Landtagssitze werden vergeben, erste, zweite, dritte Plätze stehen zur Wahl, und jenseits der Grenze, woher die Studenten kommen, die dort ihr Studium nicht wählen dürfen, wird auch gewählt. Immer jüngere Mitbürger dürfen wählen, weil sich jede Partei jung genug fühlt, um sich davon einen Vorteil auszurechnen.

In der mühsamen Debatte um Schulgesetze und Universitätsreformen wird eine Frage bisher nicht gestellt: Wo lernt man wählen? Dem Kind muss das Meiste vorgeschrieben werden. Schreiben, Lesen, Rechnen erlauben keine Abweichungen, Wahlfreiheit in der Rechtschreibung haben sich nur Dichter und Denker erlauben dürfen, ehe es den Duden gab. Auch die Höheren Schulen sind nicht so organisiert, dass die Schüler wirkliche Mitsprache hätten. Die Universitäten werden neuerdings monokratisch geführt. Im Bundesheer lernt die männliche Bevölkerung Befehlen zu gehorchen. In der römisch-katholischen Mehrheitskirche muss man zahlen, ohne die Regierung wählen zu können.

Das freilich ist bei den staatlichen Steuern anders. Wir können wählen, welche Regierung sie einhebt. Die Auswahl ist nicht groß, vier bis fünf Parteien und da und dort Hirschmänner, die aus der Reihe tanzen. Aber was nützt es, wenn die Kulturtechnik des Wählens nicht erlernt wurde? Zu ihr gehört nämlich, sich freimütig zu äußern, ohne exkommuniziert zu werden oder den Job zu verlieren, gehören Dialogfähigkeit und Streitkultur, wovor jedoch die großen Institutionen der Bildung, der Religion, der Bürokratie, der Parteien wenig halten, weil sie um ihre Selbsterhaltung bangen.

Also wählen wir wie ungelernte Arbeitskräfte. Demokratie für Anfänger. Fortbildungskurse ab Kindergarten wären einzurichten, damit nicht nur Skandale, schöne Gesichter oder Verdrossenheit wahlentscheidend werden.

Der Autor ist freier Journalist.

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